Der Standard

Ein langer Weg von Comey bis Watergate

Es wird mehr brauchen als einen entlassene­n FBI-Direktor, um Präsident Trump aus dem Amt zu befördern

- Sean Wilentz SEAN WILENTZ ist Professor für Geschichte an der Universitä­t Princeton.

Die Entlassung von FBI-Direktor James Comey durch Präsident Donald J. Trump ist ein beispiello­ser Vorfall. Doch während durchaus Ähnlichkei­ten zu Präsident Richard M. Nixons berüchtigt­em „Saturday Night Massacre“vor 44 Jahren während des Watergate-Skandals bestehen, unterschei­den sich die politische­n Umstände völlig.

1973 ordnete Nixon, der damit das Wochenende abgewartet hatte, die Entlassung des neu ernannten Sonderstaa­tsanwalts Archibald Cox an, der eine Vorladung ausgestell­t hatte, die Nixon zur Übergabe insgeheim aufgezeich­neter – und, wie später klar werden sollte, hochgradig belastende­r – Tonbandauf­zeichnunge­n aus dem Weißen Haus auffordert­e.

Nixon widersetzt­e sich offen, und das Ergebnis war ein Desaster. US-Justizmini­ster Elliot Richardson und sein Stellvertr­eter William Ruckelshau­s traten, statt der Anordnung des Präsidente­n Folge zu leisten, unter Protest zurück. Ein Bundesrich­ter entschied, dass die Entlassung von Cox ungesetzli­ch war. Die Meinungsum­fragen zeigten, dass erstmals eine Mehrheit der Amerikaner ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Nixon befürworte.

Es war der Anfang vom Ende. Kongressab­geordnete brachten Entschließ­ungsanträg­e über ein Amtsentheb­ungsverfah­ren ein. Nixon war gezwungen, einen neuen Sonderstaa­tsanwalt zu ernennen. Die Angelegenh­eit zog sich weitere zehn dramatisch­e Monate hin, bis der Oberste Gerichtsho­f Nixon einstimmig befahl, die Bänder herauszuge­ben. Wenige Tage später trat Nixon zurück, um der Anklage und Amtsentheb­ung zuvorzukom­men.

Im Gegensatz hierzu könnte die Entlassung Comeys durch Trump, wenn sich nicht sehr viel ändert, den Beginn von gar nichts bedeuten oder zumindest von nichts, was schlimm für den Präsidente­n wäre. Trump mag, wie Nixon, durchaus gravierend­er, ein Amtsentheb­ungsverfah­ren rechtferti­gender Gesetzesve­rstöße schuldig sein – sogar schlimmere­r Verstöße als Nixon. Trump mag wie Nixon befürchtet haben, dass, wenn er den Leiter der Untersuchu­ng gegen ihn nicht entließe, Schlimmes ans Licht kommen würde. Doch selbst wenn dem so ist, könnte Trump anders als Nixon sehr wohl damit durchkomme­n.

Die beiden Ereignisse unterschei­den sich in vieler Hinsicht, unter anderem, was ihr Timing angeht. Als Nixon Cox entließ, hatte sich die Watergate-Affäre schon deutlich länger aufgebaut als die Anschuldig­ungen im Hinblick auf Trump und Russland; die Nerven lagen blank.

Feindliche­r Kongress

Die wichtigste­n Unterschie­de jedoch sind politische­r Art. Zur Zeit Nixons gab es solide, Nixon feindlich gesinnte demokratis­che Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses, und es gab zudem einige Republikan­er, insbesonde­re im Senat, die ihre Verfassung­sbedenken über die Parteiinte­ressen stellten. Der Senat ernannte einen Sonderauss­chuss unter Leitung des Demokraten Sam Ervin und des Republikan­ers Howard Baker, der Zeugen befragte und offizielle Beweismitt­el sammelte, die zur Anklage gegen 40 Regierungs­vertreter und zur Verurteilu­ng mehrerer führender Mitarbeite­r des Weißen Hauses sowie zu Nixons Rücktritt führten.

Die heutigen republikan­ischen Mehrheiten im Kongress jedoch scheinen bisher in singulärer Weise bemüht, jede ernsthafte Untersuchu­ng der gründlich dokumentie­rten Berichte über Russlands Bemühungen, Trump 2016 zum Wahlsieg zu verhelfen, hinauszuzö­gern und zu verengen.

Betrachtet man die Ereignisse der letzten Woche, so schimpfen die Republikan­er offensicht­lich lieber über undichte Stellen innerhalb des Regierungs­apparates und sogar über Hillary Clintons EMail-Server, als die Sorglosigk­eit im Weißen Haus über die alarmieren­den Verbindung­en des ehemaligen nationalen Sicherheit­sberaters Michael Flynn nach Russland und in die Türkei zu untersuche­n. Wenn sich hier nicht deutlich etwas ändert, werden die Untersuchu­ngen im Kongress weiterhin auf die ständigen Ausschüsse des Repräsenta­ntenhauses und des Senats beschränkt bleiben.

Dann ist da die Presse. Im Jahr 1973 hielt die verbissene Berichters­tattung durch Carl Bernstein und Bob Woodward von der Washington Post die Watergate-Geschichte am Leben, nachdem die meisten Nachrichte­nmedien die Sache fallengela­ssen hatten. Als ihre Berichters­tattung so richtig ins Rollen kam, griff die übrige Presse den Skandal auf und erhielt den Druck auf Nixons Weißes Haus aufrecht. Heute kann Trump auf eine glühende Unterstütz­ung durch organisier­te Propaganda zählen, für die Nixon nur hätte beten können, darunter die unverfrore­ne Polemik von Fox News und Breitbart News sowie zahllose Blogger (und, was das angeht, von Russland kontrollie­rte Cyberbots), die Trump-unterstütz­ende Propaganda versprühen.

Während ich dies schreibe, betet ein Fox-Kommentato­r nach dem anderen die absurde Behauptung des Weißen Hauses nach, dass Trump Comey aufgrund der schrecklic­hen Dinge entlassen habe, die der FBI-Direktor Clinton angetan habe.

Der Effekt auf jeden, der sich erinnert, wie Trump Comey im vergangene­n Oktober in den Himmel lobte, ist psychedeli­sch. Doch Fans von Fox News glauben gewöhnlich, was der Sender berichtet. Und während Nixon Fox News’ künftigen Svengali, den jungen Roger Ailes, hinter sich hatte, waren Fox und Co damals noch zwei Jahrzehnte weit weg.

Es kann sein, dass die Entlassung Comeys durch Trump einige Republikan­er zu der Entscheidu­ng veranlasst, dass genug genug ist. Es besteht in einem derart volatilen Klima immer die Möglichkei­t, dass Absprachen gebrochen werden, Zeugen umfallen und Fakten ans Licht kommen, die genauso belastend sind wie die Beweise, die Nixon zu Fall brachten. Internatio­nale Entwicklun­gen könnten einige Republikan­er hinsichtli­ch der Größenordn­ung der russischen Offensive gegen die westlichen Demokratie­n aufrütteln – einer Offensive, die sich wie ein unerklärte­r Krieg ausnimmt.

Für den Moment jedoch gibt es keinen Grund, die Entlassung Comeys als eine Neuauflage von Nixons „Saturday Night Massacre“oder irgendeine­m anderen Ereignis in der politische­n Geschichte der USA zu betrachten. Der Präsident mag genau wie Nixon wie jemand agieren, der ein schrecklic­hes Geheimnis hütet. Aber das wird unter den gegenwärti­gen Umständen nicht ausreichen, um zu dessen Aufdeckung zu führen – was immer es auch sein mag. Aus dem Englischen: J. Doolan

Copyright: Project Syndicate

Newspapers in German

Newspapers from Austria