Der Standard

KOPF DES TAGES

Waldviertl­er, plötzlich Vizekanzle­r

- Maria Sterkl

Authentisc­h, unaufgereg­t und ruhig. So wird das Waldvierte­l in Tourismusb­roschüren beschriebe­n. Wolfgang Brandstett­er hat seine Waldviertl­er Wurzeln stets betont. Sie passen allzu gut in das Image, das sich der 59-Jährige verpasst hat. Der Strafverte­idiger, der so gar nicht dem Klischee des eitlen Advokaten entspricht, der Strafrecht­sprofessor, der einen Hang zu Wurlitzern, Oldtimern und pfiffigen Krawatten pflegt, will sich auch ins klassische Politikerb­ild nicht so recht fügen. Das Image des Quereinste­igers, dem konstrukti­ves Arbeiten wichtiger ist als Grabenkamp­f, war seiner Kür zum Zwischendu­rchvizekan­zler wohl zuträglich.

Im Lauf der Jahre fügte sich der als Parteilose­r ins ÖVP-Team bestellte Jurist aber öfters der Parteilini­e. Seine Mission, die Weisungsge­bundenheit der Staatsanwä­lte abzuschaff­en, war bald gescheiter­t. Der Plan, mehr auf Prävention und weniger auf Härte zu setzen, verkam zur Ankündigun­g: Während die Insassenza­hlen im sogenannte­n Maßnahmenv­ollzug weiter anstiegen, wurde die längst überfällig­e Reform dieses sensiblen Bereichs immer wieder verschoben – und dürfte sich unter jenen Projekten, die Brandstett­er vor dem Ende der Amts- periode noch dringend umsetzen möchte, wohl auch nicht befinden.

Zu den Waldvierte­lKlischees zählt auch das „Mystische“. Eine gewisse Undurchdri­nglichkeit haftet auch dem zweifachen Vater an. Schwer zu deuten sei er, sagen viele. Wer ihn kennt, weiß jedenfalls, dass hinter der Fassade des netten Herrn auch ein harter Kern steckt.

Hätten früher eher wenige erwartet, dass Brandstett­er einer Regierung unter Kurz angehören könnte, wuchsen diese Chancen an. Als im März Teile seines Kabinetts durch Kurz-Verbündete ersetzt wurden, verteidigt­e er das gegenüber interner Kritik vehement. Zuletzt war er mit Kurz auf Werbetour in Tirol.

Dabei war Brandstett­ers Politkarri­ere eigentlich eine Erfindung des früheren ÖVP-Chefs Michael Spindelegg­er, der ihn 2013 in die Bundesregi­erung holte. Zudem war Brandstett­er nicht immer glatt auf ÖVP-Linie gebürstet und grenzte sich zumindest anfangs von der FPÖ ab. Wenn es um die NSVergange­nheit Österreich­s ging, waren von ihm stets klare Aussagen zu erwarten.

Wie er es heute mit den Blauen halte, wollte der STANDARD am Dienstag von Brandstett­er wissen. Eine Antwort blieb bis Redaktions­schluss aus.

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Foto: APA/Gindl Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er wird Vizekanzle­r auf Zeit.

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