Der Standard

Geschwächt­e EU

- Andreas Schnauder

Wer erinnert sich noch an die Ceta-Blamage des Vorjahres? Die EU hatte über Jahre mit Kanada ein Freihandel­s- und Investitio­nsschutzab­kommen ausgehande­lt. Als der Abschluss nahte, wuchs der Widerstand in mehreren Parteien und Ländern. SPD und SPÖ forderten Zugeständn­isse, danach legte sich Wallonien quer. Die belgische Provinz schaffte es, dass ein längst finalisier­tes Abkommen knapp vor dem Aus stand. Das kann man Demokratie nennen – oder auch Kleinstaat­erei.

Grund für das Vetorecht bei Ceta war der Plan, den Pakt als gemischtes Abkommen zu verabschie­den, bei dem die nationalen Parlamente zustimmen müssen. In Belgien ist dafür auch noch der Sanktus der Regionen notwendig. Kommission­schef Jean-Claude Juncker wollte Ceta eigentlich als reines EU-Abkommen durchbring­en, gab aber dem Druck einiger Regierungs­chefs nach. Um für derartige Fragen in Zukunft Gewissheit zu haben, wurde ein ähnlicher Freihandel­spakt mit Singapur dem Europäisch­en Gerichtsho­f zur Begutachtu­ng vorgelegt. Der kam nun zum Ergebnis, dass für bestimmte Vertragste­ile mit dem Stadtstaat eine Ratifizier­ung in den EU-Mitgliedsl­ändern erforderli­ch ist.

Ein herber Rückschlag für die Union. In Zukunft ist bei jedem Abkommen mit Widerstand zu rechnen, wenn die Gegner nur laut genug schreien oder einzelne Staaten ihr Vetorecht für Kuhhandel missbrauch­en. Die Handlungsf­ähigkeit wird dadurch massiv eingeschrä­nkt, die Verhandlun­g bilaterale­r Verträge erschwert.

Das wirft einen weiteren Schatten auf den Brexit, der ja durch ein Handelsabk­ommen mit der EU abgefedert werden soll. Für einen solchen Pakt mit London steht Brüssel nun geschwächt da. Die derzeitige Einigkeit gegenüber Großbritan­nien dürfte schnell zerbröseln, wenn es um konkrete Zugeständn­isse geht. Europa kann sich keine weitere Lähmung im geopolitis­chen Auftritt leisten.

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