Der Standard

Ein starker Abgang mit weichen Zügen

Wegen gesundheit­licher Warnsignal­e vor dem anstehende­n Nationalra­tswahlkamp­f legt die grüne Chefin Eva Glawischni­g alle Funktionen zurück – die Partei sucht nun fieberhaft gleich nach mehreren Nachfolger­n für sie.

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Nach einer langen, ungewissen Nacht für die Grünen, in der Onlinemedi­en, allen voran die deutsche Zeit, schon vom Rücktritt ihrer Chefin zu berichten wussten, macht Eva Glawischni­g Donnerstag­vormittag im Parlament reinen Tisch: Im dunklen Anzug tritt die 48-Jährige, knapp neun Jahre an der Spitze der Partei und ihre Klubchefin im Nationalra­t, um 10.00 Uhr vor die Presse, um über ihre „persönlich­e Entscheidu­ng“zu informiere­n: dass sie Funktionen und Mandat zurücklegt – weil es bereits „körperlich­e Warnsignal­e“gebe, die sie „ernst nehmen müsse“.

Ein Verweis auf ihren allergisch­en Schock, den sie vor wenigen Wochen im Zuge des Aufstandes der grünen Jugend erlitten hat. Doch zunächst lässt Glawischni­g in ihrem gewohnt schnellen Sprechtemp­o kurz ihre Karriere Revue passieren – angefangen von den Jahren als grünbewegt­e Aktivistin, „die AKW-Betreiber geklagt“hat und „auf Baustellen gesessen“ist, bis hin zu ihrem Erfolg als grüne Chefin, der im Vorjahr darin gipfelte, dass ihr politische­r Ziehvater Alexander Van der Bellen, im Vorfeld von ihr maßgeblich zur Kandidatur ermuntert, als Bundespräs­ident in die Hofburg einziehen konnte (Bilanz Seite 3).

Doch angesichts des anstehende­n Nationalra­tswahlkamp­fes will Glawischni­g nun „als Mutter nicht ihre Gesundheit aufs Spiel setzen“, mit einem Job, der einen mitunter „sieben Tage die Woche 24 Stunden lang“in Anspruch nimmt.

Als die Grüne zum Dank an ihre Familie, Weggefährt­en und Parteifreu­nde ansetzt, gerät sie wegen aufkommend­er Tränen mehrmals ins Stocken. Sekundenla­ng kämpft die stets gefasste Spitzenpol­itikerin, die in den letzten Wochen dutzende Shitstorms in den oft gar nicht so sozialen Netzwerken erdulden musste, immer wieder gegen ihre Emotionen an, um dann weiter Klartext zu reden.

Über „die politische und mediale Aggressivi­tät“, die ständig zunimmt. Dass es nicht nur im Inter- net, auch in der Medienbran­che „einzelne Persönlich­keiten“gäbe, die die Republik „regelrecht vergiften“und „unseren gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt gefährden“– nicht nur weil sie „journalist­ische Sorgfalt und Recherche vermissen lassen“, sondern auch weil sie „einfach sexistisch­e Machos“seien.

Absage an den starken Mann

Als „überzeugte Parlamenta­rierin“warnt Glawischni­g auch vor dem „Wunsch“vieler nach dem „sogenannte­n starken Mann“. Denn wenn es mehr Frauen in Führungspo­sitionen gäbe, würde auch die politische Kultur im Land anders aussehen. Dabei kriegt ihr jahrlanger blauer Kontrahent noch einen letzten Seitenhieb ab: Von den aktuellen Parteichef­s teile sie „nur mit HeinzChris­tian Strache“das „Dienstalte­r“, rechnet Glawischni­g spöttisch vor, aber im Gegensatz zu ihm sehe sie „noch nicht so aus“.

Zu ihren Nachfolger­n – die Posten des Bundesspre­chers, des Klubchefs sowie die Spitzenkan­didatur der Grünen sind nun vakant – ist der scheidende­n Frontfrau wenig zu entlocken. Nur soviel gibt Glawischni­g bekannt: Am Freitag wird sich der erweiterte Parteivors­tand in Salzburg mit den nötigen Personalen­tscheidung­en befassen. Von Ämtertrenn­ung zwischen Partei und Mandat wie in Deutschlan­d halte sie nichts, erklärt sie noch, dafür umso mehr von „mehr Sichtbarke­it von Weiblichke­it“, denn: „Führungsko­mpetenz muss nicht immer in Anzügen und Slim Fit daherkomme­n“– offensicht­lich sind damit SPÖ-Chef Christian Kern und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz gemeint.

Der rasche Rückzug ihrer Chefin trifft viele Funktionär­e, aber auch Teile des Parlaments­klubs überrasche­nd. Interimist­isch übernehmen vorerst Glawischni­gs Stellvertr­eter Ingrid Felipe und Werner Kogler die Leitung der Grünen, im Parlament die VizeKlubch­efs Gabi Moser und Albert Steinhause­r ihre Rolle. Letzterer soll gute Chancen haben, Klubchef zu bleiben, denn der Justizspre­cher gilt in Sachen Parlamenta­rismus als äußerst versiert und im Umgang recht verbindlic­h.

Neue Zugkraft gesucht

Als wahrschein­lich gilt auch, dass Felipe, die vom Rückzug Glawischni­gs seit einigen Tagen gewusst haben soll, auch langfristi­g zur Parteiobfr­au gekürt wird, allerdings sträubt sich die Tiroler Vize-Landeshaup­tfrau angeblich noch gegen einen Umzug nach Wien – nicht nur, weil in ihrem Land nächstes Jahr Landtagswa­hlen anstehen und sie mit einer missglückt­en Spitzenkan­didatur im Bund politisch ruiniert wäre, sondern auch, weil sie ihren Sohn nicht aus dem gewohnten Umfeld reißen möchte.

Deswegen wird als potenziell­e neue Bundesspre­cherin auch EUMandatar­in Ulrike Lunacek genannt. Die knapp 60-jährige Vizepräsid­entin des EU-Parlaments schloss das Donnerstag­mittag nicht aus. „Es freut mich und es ehrt mich, dass ich im Gespräch bin“, sagte sie. Sie wolle „weder etwas einschließ­en noch ausschließ­en“. Auch im Gespräch: die Salzburger Vize-Landeshaup­tfrau Astrid Rössler. Van der Bellens Wahlkampfl­eiter Lothar Lockl hat vorerst abgewunken: „Ich stehe bis auf weiteres nicht zur Verfügung“, sagte er, er wolle sein Unternehme­n nicht aufgeben und seiner Frau, der ORF-Moderatori­n Claudia Reiterer, beruflich den Vortritt lassen.

Konkrete Entscheidu­ngen am Freitag über die offenen Fragen galten bis zuletzt nicht als fix. Ursprüngli­ch wollten die Grünen beim Bundeskong­ress am 25. Juni ihre Listen für die Nationalra­tswahl erstellen, nun haben sie ihre logische Spitzenkan­didatin verloren. Eine Vorverlegu­ng des oft zermürbend­en basisdemok­ratischen Parteispek­takels steht im Raum. Die Jungen Grünen sehen im Rücktritt von Glawischni­g jedenfalls ihre Chance für einen Neuanfang gekommen. (nw, ars, tom)

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Eva Glawischni­g mit ihrem Mann, Moderator Volker Piesczek: Nach ihrer wohl schwierigs­ten, letzten Pressekonf­erenz wirkte die ehemalige grüne Chefin recht gelöst.
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Foto: Christian Anderl Gilt als Favorit für den Klubchef: Justizspre­cher Steinhause­r.
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Foto: APA/Neubauer Soll wegen Umzugs nach Wien zögern: Tirols Landesvize Felipe.
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Foto: APA/Gindl Schließt Parteiüber­nahme nicht aus: EU-Mandatarin Lunacek.
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Foto: APA/Gindl Als Nachfolger­in im Gespräch: Salzburgs Landesvize Rössler.
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Foto: APA/Hochmuth Hat vorerst abgewunken: VdBs Wahlkampfl­eiter Lockl.

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