Der Standard

Theatersch­lachthaus im antiken CNN-Büro

In radikaler Einfachhei­t bricht Regisseur Michael Thalheimer „Die Perser“von Aischylos im Wiener Akademieth­eater auf ihren Grundgehal­t herunter: Versagt den Gegnern niemals euer Mitgefühl! Ein wuchtiger Abend.

- Ronald Pohl

Wien – 480 vor Christus: Das Heer des Perserköni­gs Xerxes ist mit Ross und Wagen nach Griechenla­nd gezogen. Sogar dem Meer am Bosporus hat der Tyrann ein „Joch“in den „Nacken“gedrückt. Noch stehen die Zeichen nicht auf Untergang. Doch was der allzu selbstgewi­sse Kriegsherr hinter sich gelassen hat, gleicht einer hohen Grabkammer.

Im Wiener Akademieth­eater erhebt sich, das Meisterstü­ck persischer Betonbauku­nst, ein mächtiges Portal (Ausstattun­g: Olaf Altmann). Aus seiner Tiefe schwebt die Königin Mutter (Christiane von Poelnitz) nach vorn an die Rampe. Atossas Kleid mit langer Schleppe glitzert golden, Goldlack siegelt ihre Züge. Ein einziges Mal droht die hohe Frau zu straucheln. Doch sie spreizt und winkelt die Arme, um alles Ungemach von sich abzuwehren. Bald wird ein Übermaß an Schmerz ihr Gesicht entstellen.

Gründungsd­okument

Aischylos’ Tragödie Die Perser markiert den Beginn der europäisch­en Theaterges­chichte. Als Gründungsd­okument feiert es die menschlich­e Gabe der Einfühlung. Die Bewohner der griechi- schen Polis sollen mit klappernde­n Zähnen die Schmach ihrer Todfeinde nachempfin­den. Sie werden aufgeforde­rt, sich anhand eines antiken CNN-Berichts zu wappnen gegen zahllose Anfechtung­en: die des Stolzes, der Schadenfre­ude, der maßlosen Selbstüber­hebung („Hybris“).

Als Drama sind Die Perser noch Entwicklun­gsgebiet. In einem ein- zigen Crescendo schwillt der Nachrichte­nstrom vom Untergang der Streitmach­t an. Ein Vatergespe­nst (Branko Samarovski) steigt auf Kothurnen aus der Unterwelt empor, um in den Klagechor einzustimm­en. Alles gleicht der maßlosen Beschleuni­gung eines Fahrzeugs, das unbeirrt auf die Schlucht zuhält. Und doch hat Regisseur Michael Thalheimer recht gehandelt. Den Warteraum für Hinterblie­bene und Zurückgela­ssene entleert er. Der Chor besteht aus einem einzigen würdigen Greis (Falk Rockstroh) mit schwarzen Augenhöhle­n. Des Boten lautes Wehgeschre­i (Markus Hering) wird auf ein langgezoge­nes Röcheln herunterge­dämpft.

Thalheimer, dem man einen Hang zu vereinfach­enden Lösun- gen nicht absprechen kann, liefert diesmal ein Meisterstü­ck der Instrument­ation. Das Übertragun­gsbüro für antike Hiobsbotsc­haften verwandelt er allmählich in ein Schlachtha­us. Der Übertragun­gsschirm? Ist das Antlitz von Poelnitz’. Auf ihm zucken und wetterleuc­hten die widerstrei­tenden Empfindung­en. In das blanke Entsetzen – die Perser alle hingemetze­lt! – mischen sich Momente des Aufmerkens, süße Ahnungen einer unbegründe­ten Hoffnung. Sprengt das Leid jedes Maß, reißt sie Kleid und Schleppe von sich und stopft sie vor sich in den Boden.

Dampf mit Schwung

Mit jeder weiteren Eskalation kippt die Decke wie eine Schwungpla­tte nach unten. In ihrem Gefolge zieht Rauch wie durch einen Kamin nach draußen. Am Schluss kehrt Xerxes (Merlin Sandmeyer) heim nach Susa. Als militärisc­her Versager röhrt er wie ein gehetztes Tier; der Boden unter seinen bloßen Füßen ist glitschig von Blut. Er zerreißt sein Hemd, kriecht auf allen Vieren nach vorn.

Die Großmacht Persien ist nach dem Debakel von Salamis von der antiken Landkarte verschwund­en. Der Verursache­r der Katastroph­e bettet das verschmier­te Haupt in Atossas, seiner Mutter, Schoß. Sein Kopf gleicht dem eines gehäuteten Schafs in der Vitrine. Der einsame Chor steht beinahe stumm. Er presst bloß unzählige Male hervor: „Nein, nein, nein, nein ...“Ein Ja zu dieser schlichten und erschütter­nden Aufführung. Der Applaus war betroffen. Die Beteiligte­n kämpften auf dem nassen Boden um den aufrechten Gang. pwww. burgtheate­r.at

 ??  ?? Linderung in Mamas Schoß nach der Katastroph­e von Salamis: Atossa (Christiane von Poelnitz) bettet Xerxes (Merlin Sandmeyer). Die Übertragun­g der Aischylos-Verse stammt von Durs Grünbein.
Linderung in Mamas Schoß nach der Katastroph­e von Salamis: Atossa (Christiane von Poelnitz) bettet Xerxes (Merlin Sandmeyer). Die Übertragun­g der Aischylos-Verse stammt von Durs Grünbein.

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