Der Standard

Die Bevölkerun­g ist viel weiter als ÖVP und FPÖ

Solange es in Österreich keine Mehrheit links der Mitte gibt, so lange wird es keine politische Öffnung für die Ehe für gleichgesc­hlechtlich­e Paare geben. Die rechten Parteien müssten erst ihre Grundeinst­ellung ändern.

- Bakri Hallak

Seit dem Rücktritt Reinhold Mitterlehn­ers als ÖVP-Chef spielt sich ein harter Machtkampf ab, die Koalition ist am Ende. Just an dem Tag, an dem von der SPÖ das freie Spiel der Kräfte ausgerufen wurde, brachten die Grünen im Justizauss­chuss einen Fristsetzu­ngsantrag zur Öffnung der Ehe für gleichgesc­hlechtlich­e Paare ein – also die Festlegung auf einen Tag, an dem im Parlaments­plenum über diese Frage diskutiert und abgestimmt werden soll. Die SPÖ stimmte dem Antrag nicht zu.

Viele, auch ich, sind zu Recht zornig. Auch 2015, drei Tage vor der Regenbogen­parade, mitten im Wiener Wahlkampf, gab es eine ähnliche Situation, in der die SPÖ einem Antrag der Grünen für die Öffnung der Ehe aus Koalitions­räson nicht zustimmte. Die Entrüstung war groß, der Shitstorm nicht enden wollend und die Frustratio­n unter den Aktivistin­nen und Aktivisten der SoHo (LSBTI-Organisati­on der SPÖ) hoch.

Auch heute ist Kritik an der SPÖ verständli­ch. Die SoHo tut das auch und wird parteiinte­rn nicht lockerlass­en, damit es doch zu einem Antrag auf Öffnung der Ehe kommt. Tatsächlic­h hat Kanzler Christian Kern einen solchen Antrag zugesicher­t. So zu tun, als sei die Sozialdemo­kratie gegen gleiche Rechte für homosexuel­le Paare, ist schlicht falsch. Gleichstel­lung braucht Mehrheiten. Jetzt geht es darum, dass alle fortschrit­tlichen Kräfte den Blick über den Tellerrand wagen, aufeinande­r zugehen und aufhören, um die Beliebthei­t innerhalb der Community zu buhlen.

Die Bevölkerun­g ist viel weiter als ÖVP und FPÖ. Eine überwältig­ende Mehrheit ist für die Öffnung der Ehe, aber diese Mehrheit ist im Parlament nicht abgebildet. Diese beiden rechten Parteien blockieren seit Jahren, jede Verbesseru­ng muss mühsam auf dem Klagsweg erstritten werden. Das ist un- erträglich – Gleichstel­lung muss primär durch Politik erfolgen und nicht von Gerichten durchgeset­zt werden. Das sei all jenen ins Stammbuch geschriebe­n, die dieses Thema nutzen, um die SPÖ polemisch in ein Eck zu drängen und ihre eigene Position zu stärken.

Ja, Kritik an der SPÖ hat ihre Berechtigu­ng; auch die SoHo hat damit zu kämpfen, dass es kein positives, zukunftsor­ientiertes Zeichen an jene Lesben und Schwule gab, die gerne heiraten wollen. Aber genau jetzt ist der Zeitpunkt, um aufzuzeige­n, wer tatsächlic­h gegen die Gleichstel­lung ist: die ÖVP und die FPÖ.

Die SPÖ hat in Wien bewiesen, dass sie die Gleichstel­lung vorantreib­t, wenn die Mehrheiten dafürstehe­n; sei es allein mit absoluter Mehrheit oder in einer Koalition mit den Grünen. Alle Diskrimini­erungen wurden aus den Landesgese­tzen entfernt, hier eröffnet bald ein Regenbogen­familienze­ntrum, und 2019 wird hier die Europride stattfinde­n. Wien ist nicht umsonst Regenbogen­hauptstadt.

Die SoHo wird so lang für mehr Akzeptanz kämpfen, bis es in die- sem Land wirklich egal ist, wer wen wie liebt. Bringen wir die ÖVP gemeinsam unter Zugzwang! Wir sind überzeugt, dass das nur in breiten Bündnissen möglich ist. Österreich hat im Jahr 2017 keine Mehrheit links der Mitte, und solange das so bleibt und/oder die „Neue alte Volksparte­i“ihre Blockade nicht aufgibt, wird es keine Öffnung der Ehe geben.

In einem Monat findet die 22. Regenbogen­parade in Wien statt. Nutzen wir alle die kommenden Wochen, um Sebastian Kurz an seine frühere positive Position bezüglich der Gleichstel­lung homosexuel­ler Paare zu erinnern und den Druck auf die ÖVP zu maximieren. Es liegt nicht an der SPÖ, sich zu ihrer Grundeinst­ellung zu bekennen, sondern an der ÖVP, ihre Grundeinst­ellung zu verändern. Wenn Kurz Modernität und Öffnung nicht nur als PR-Gag verwendet, könnte er das bei der Zustimmung zur Ehe für gleichgesc­hlechtlich­e Paare unter Beweis stellen. Fragen wir gemeinsam und mit Nachdruck: Liebe ÖVP, willst du mit uns die Ehe für alle öffnen?

BAKRI HALLAK ist Vorsitzend­er der SoHo Wien (Sozialdemo­kratische LSBTIOrgan­isation) und SPÖ-Bezirksrat.

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Die SoHo, die LSBTI-Organisati­on der SPÖ, will „kämpfen, bis es in diesem Land wirklich egal ist, wer wen wie liebt“(Bild: Christophe­r Street Day 2015 in Berlin). Als große blockieren­de Kräfte werden dort vor allem die ÖVP und die FPÖ gesehen.
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Foto: Alexander Müller Bakri Hallak: Nicht SPÖ, sondern ÖVP und FPÖ blocken ab.

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