Der Standard

Die Grünen und der Verlust ihrer Kraft als Bewegung

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Die Grünen entspreche­n als Partei keiner der historisch gewachsene­n politische­n Strömungen. Sie sind nicht konservati­v, weil sie Veränderun­g wollen. Sie sind selten (wie etwa Alexander Van der Bellen) liberal, weil der Wirtschaft­sliberalis­mus nichts für Ökologie übrighat. Sie sind nicht sozialdemo­kratisch (und selten sozialisti­sch wie Teile der Wiener Grünen), weil eine in Klassen geschichte­te Gesellscha­ft nicht ihre Sache ist. Und schon gar nicht sind sie national, weil ihre Grundanlie­gen immer eine internatio­nale Dimension haben.D ie Grünen sind als Protestbew­egung gestartet – gegen Natur- und Landverbra­uch (Autobahnen und Tunnels), gegen Rüstungswa­hn und die damit verbundene Korruption (Beispiel Eurofighte­r), gegen zu viel Individual­verkehr (für Radwege, Fuzos und billige Transportt­arife), gegen Atomkraftw­erke. Das löste die heftigsten Kämpfe aus, weil hier am meisten Geld im Spiel ist.

Als sie sich in den 1970erJahr­en des vergangene­n Jahrhunder­ts entschloss­en, Parteien zu werden, wandelten sich die Grünen von einer Bewegung zu Organisati­onen mit Statuten und Bürokratie.

Als sie noch eine Bewegung waren, hatten sie die Kraft des Ungewöhnli­chen, für die Medien erfüllten sie den Neugierswe­rt von „Mann beißt Hund“. Als Parteien wurden sie gewöhnlich. „Hund beißt Mann“ist, wenn es sich nicht um einen Rottweiler handelt, nicht einmal eine Meldung.

Vor allem: Sie konnten via Wahlen abgezählt werden, sie unterlagen den Umfragen und mussten sich mit den Vorund Nachteilen der öffentlich­en Werbung auseinande­rsetzten. Ein grüner Star war man nicht mehr, weil man auf der Straße der Exekutive die Stirn bot, sondern dann, wenn man via Magazincov­er für steigende Auflagen sorgte. All das hatte und hat mit „Bewegung“nichts mehr zu tun.

Dazu kommt, dass sie in ihrer Pionierpha­se gegen viele die Menschen einengende Regulative waren, heute wollen sie das Zusammenle­ben ähnlich der EU-Bürokratie strengen Regeln unterwerfe­n. Weil – zum Beispiel – Abgasregul­ative sinnvoll seien. Sinnlos freilich ist die Regel, dass Radler gegen die Einbahn fahren. Wenn dann – wie im Fall von Eva Glawischni­g – eine Galionsfig­ur abtritt, steht die ehemalige Protestbew­egung vor der Frage nach den Inhalten. Die meisten seinerzeit­igen Fragen wurden von anderen Parteien übernommen. Ohne gelöst zu sein. Neue, publikumsw­irksaDme Themen gibt es nicht. as rigorose Abhören (George Orwells 1984) wäre so eines. Aber es ist den Leuten gleichgült­ig. Ebenso wenig Protestpot­enzial haben vergiftete Lebensmitt­el. Real müssen sie billig sein, um die Finanzieru­ng eines teuren Lebens zu bestreiten.

Die Grünen können zwischen zwei Varianten wählen: Auf der einen Seite als stinknorma­le Partei bei Wahlen knapp über der Mandatsunt­ergrenze abzuschnei­den (wie immer öfter in Deutschlan­d) oder auf der anderen Seite zur Bewegung und damit zur Protestkul­tur zurückzuke­hren. Regieren und gleichzeit­ig demonstrie­ren wäre eine spannende Gratwander­ung. Denn das wäre Bewegung und nicht Stillstand. gerfried.sperl@derStandar­d.at

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