Der Standard

Gezeichnet fürs Leben

Der Terroransc­hlag von Manchester wirft erneut die Frage auf: Was tun mit radikalisi­erten, zumeist männlichen, Jugendlich­en? Die Möglichkei­ten sind überschaub­ar. Die Zahl der Teenager, die kaum Perspektiv­en, aber viel zu viel Zeit haben, ist hoch – und si

- HINTERGRUN­D: Petra Stuiber

Ab der Türschwell­e soll es keine Zweifel mehr geben: „Dein bester Platz ist hier, denn wir stehen zu dir.“Das steht, in Schönschri­ft auf ein Plakat geschriebe­n, gleich im Vorzimmer der WG im 12. Wiener Gemeindebe­zirk. Für eine Wohngemein­schaft wirkt die geräumige Wohnung fast zu aufgeräumt. Geht man weiter, etwa in die Küche, wo gerade zwei Bewohner fernsehen und einer kocht, sieht man eine Mischung aus Gemütlichk­eit und Nüchternhe­it. An den Wänden hängen Bilder, es dominieren die Farben Orange und Gelb, die Stimmung ist fast familiär. Und doch merkt man, dies ist keine gewöhnlich­e WG. Und auch nicht das Zuhause einer klassische­n Familie.

Überall hängen Sinnsprüch­e, offenbar geschriebe­n von jenen, die hier die Verantwort­ung tragen. Etwa dieser: „Was uns am meisten interessie­rt, ist, was ab jetzt passiert.“Das ist auch programmat­isch zu verstehen. Wer hier wohnt ( wohnen darf), wird ausschließ­lich danach beurteilt, was er ab sofort tut oder unterlässt. Nicht danach, was sich bis dato auf seinem Kerbholz angesammel­t hat. Und das ist – meistens – recht viel, trotz der Jugend der WG-Bewohner: kleinere Diebstahls- und Gewaltdeli­kte zumeist.

Manche sind aber auch wegen Paragraf 278b ins Visier der Behörden gelangt: „Beteiligun­g an einer terroristi­schen Vereinigun­g“. Das versetzt, auch angesichts des jüngsten Terroransc­hlags von Manchester, die Sicherheit­sbehörden in höchste Alarmberei­tschaft. Denn es bedeutet, dass junge Menschen aufgefalle­n sind, weil sie angekündig­t haben, in den Jihad ziehen zu wollen, dass sie mit Gewalt gedroht, IS-Propaganda verbreitet haben oder mit jemandem in Kontakt waren, der dies getan hat.

Manche haben bereits Haftstrafe­n verbüßt oder waren zumindest in U-Haft. Manche sind sogar dafür noch zu jung.

„Keine Ressource“

So wie jener Zwölfjähri­ge, der im Jänner dieses Jahres im Zuge der Ermittlung­en gegen einen 17jährigen Terrorverd­ächtigen auch ins Visier von Polizei und Verfassung­sschutz geriet. Konrad Kogler, Generaldir­ektor für Öffentlich­e Sicherheit, berichtete damals relativ ausführlic­h über den Buben – der rechtlich gesehen noch ein Kind ist. Dieser sei „in intensivem Kontakt zum 17-jährigen Terrorverd­ächtigen“gestanden. Was man ihm vorwerfe, wollte Kogler nicht sagen, nur so viel: „Er ist an einem Ort untergebra­cht, an dem er unter Kontrolle steht.“

Dieser Ort war zunächst ein Krisenzent­rum, später übersiedel­te der Bub in eine Wohngemein­schaft, ähnlich jener im 12. Bezirk. Das Jugendamt schützt seine Identität, man erfährt dort nur, dass sein ursprüngli­ches Zuhause „keine Ressource“für das Kind gewesen sein soll. Soll heißen: Die Eltern hatten anscheinen­d den Draht zu ihrem Sohn verloren.

Für Monika Ukagbanwa-Stephen sind Geschichte­n wie diese keine Überraschu­ng: „Die meisten wissen überhaupt nicht, was sie tun. Sie eifern dubiosen Vorbildern oder Bezugspers­onen aus ihrem Bekanntenk­reis nach und machen sich via Whatsapp oder Facebook wichtig“, sagt die Sozialpäda­gogin und Traumaexpe­rtin. Gemeinsam mit drei Kollegin- nen und einem Kollegen führt sie die WG im 12. Bezirk und hat schon „ein paar kleinen Jihadisten“die Köpfe wieder gerade gerückt – oder es zumindest versucht. Ihr sei wichtig zu betonen, dass „die Dimensione­n nicht verloren gehen“: „Das sind Kinder. Sie geben sich stark, aber sie sind schwach.“

Die meisten, auch in ihrer WG, kommen aus Familien, in denen Sprachlosi­gkeit und Entfremdun­g vorherrsch­en – wo Bildungsde­fizite und Arbeitslos­igkeit einander bedingen und die Demütigung der sozialen Ausgrenzun­g allzu oft mit Kriminalit­ät, Alkohol und Drogen betäubt wird. Die Bedürfniss­e von Kindern zählen in einem solchen Umfeld kaum etwas.

Die Wissenscha­fter Veronika Hofinger und Thomas Schmidinge­r sprechen in diesem Zusammenha­ng von „marginalis­ierten Jugendlich­en“. Die beiden Forscher haben im Jänner dieses Jahres im Auftrag des Justizmini­steriums eine Begleitstu­die zum Thema „Deradikali­sierung in Haft“verfasst. Zahlreiche Interviews mit Inhaftiert­en belegen diese Gemeinsamk­eit. Und, sagt Schmidinge­r: „Es handelt sich um ein mehrheitli­ch männliches Phänomen.“

Sozialpäda­gogin UkagbanwaS­tephen findet eine weitere bei radikalisi­erten Kindern: „Sie kommen aus traumatisi­erenden Umfeldern.“Konkret bedeutet das: Elternhäus­er, in denen es kaum Regeln gibt, keine Grenzen, keine Strukturen, keinen respektvol­len Umgang miteinande­r. Ukagbanwa-Stephen: „Der IS bietet das.“ Ihre Gegenstrat­egie: „In der WG bieten wir all das: Wertschätz­ung, Verlässlic­hkeit und klare Regeln.“Bei Regelverst­oß gibt es Gespräche und Konsequenz­en – das sei für „ihre“Kinder ungewohnt und schmerzhaf­t.

Ein junger Mann steckt den Kopf bei der Tür herein und fragt, ob er rausgehen dürfe, „eine rauchen“. Die Sozialpäda­gogin fragt freundlich-streng: „Hast du dein Zimmer aufgeräumt?“Er nickt eifrig, strahlt und verschwind­et. „Ein ganz Lieber“, sagt UkagbanwaS­tephen, „aber ein Gefährder.“

Ein lieber „Gefährder“

Der Begriff des „Gefährders“wird als Arbeitsbeg­riff für die rund 300 „Austro-Jihadisten“, aber auch für Links- und Rechtsradi­kale sowie staatsfein­dliche Gruppierun­gen wie die „Souveränen“verwendet, ist gesetzlich aber nicht definiert. Der junge Mann in Ukagbanwa-Stephens WG hat in der Berufsschu­le wiederholt Mädchen mit „dem IS“gedroht und wurde angezeigt. Die Sozialpäda­gogin interpreti­ert das so: „Das war ein Schrei, er wollte endlich wahrgenomm­en werden.“Das wird er nun, nicht nur in ihrer WG. Der Polizei ist der junge Mann, gerade einmal 15, nun bekannt.

Obwohl: „Unsere Mittel, jugendlich­e Gefährder zu überwachen, sind äußerst bescheiden“, sagt Karlheinz Grundböck, Sprecher des Innenminis­teriums. Die zulässigen Befugnisse für polizeilic­he Ermittlung­en sind abhängig von der Konkretisi­erung eines Tatverdach­ts. Je nach Grad der Konkretisi­erung finden sich abgestufte Befugnisse im Staatsschu­tzgesetz, im Sicherheit­spolizeige­setz oder in der Strafproze­ssordnung. Für Minderjähr­ige gelten besondere Bestimmung­en.

Kinder unter 14, die in Verdacht geraten, sind laut Strafrecht nicht strafmündi­g, gegen sie können keine Ermittlung­sbefugniss­e der Strafproze­ssordnung, etwa Kommunikat­ionsüberwa­chung, ergriffen werden. Grundböck: „Bei verdächtig­en strafunmün­digen Kindern sind nur wenige eingreifen­de Maßnahmen zur Abwehr einer unmittelba­r von ihnen drohenden Gefahr zulässig.“

Strafanzei­gen, die die Polizei an die Staatsanwa­ltschaften erstatten, werden im kriminalpo­lizeiliche­n Aktenindex gespeicher­t. Für diese Speicherun­g gibt es, unter bestimmten Voraussetz­ungen, eine gesetzlich­e Verpflicht­ung zur Löschung. Nicht so auf den Servern der Justiz: Im sogenannte­n VJ (Verfahrens­automation Justiz) bleiben Akten zehn Jahre lang gespeicher­t – egal wie alt oder wie jung die Person war, gegen die ermittelt wurde.

Ihre jugendlich­en Klienten seien „fürs Leben gezeichnet“, wenn sie einmal als „radikalisi­ert“aufgefalle­n seien, sagt die Sozialpäda­gogin. Dazu kommen oft auch noch Fluchttrau­mata. „Sie haben oft niemandem, dem sie sagen können, was sie belastet.“

Auch Wissenscha­fter Thomas Schmidinge­r sagt: „Den meisten geht es um Zugehörigk­eit. Das ist der Schlüssel.“Klassische Deradikali­sierungsar­beit, wie sie etwa der Verein Derad anbietet, mit Gesprächen über die verkehrte, gefährlich­e Ideologie des IS, verfängt nur bei den wenigsten der jungen Radikalisi­erten: „Ich habe überhaupt nicht gewusst, wovon der redet“, wird ein inhaftiert­er Jugendlich­er, angesproch­en auf ein „Deradikali­sierungsge­spräch“, in der Studie zitiert.

In der WG im 12. Bezirk setzt Monika Ukagbanwa-Stephen auf praktische Maßnahmen – etwa gemeinsame­s Kochen mit ungeahnten Nebeneffek­ten: „Heimweh hat mit Gerüchen und Geschmack zu tun. Wenn die Kinder ihre Lieblingsg­erichte von daheim kochen, hilft ihnen das ein bisschen.“Das seien auch die Momente, in denen sie innerlich „aufmachen“und man an sie herankomme.

Die Probleme werden nach der Schulpflic­ht noch größer. Es gibt nur wenige Einrichtun­gen für schulisch und sozial gescheiter­te Jugendlich­e. Restart der Caritas ist eine solche Einrichtun­g, sie richtet sich an Jugendlich­e zwischen 15 und 19 Jahren, die nicht mehr schulpflic­htig sind, sich aber auch sonst in keiner Ausbildung befinden.

Auf der Homepage steht, es gehe darum, „unkomplizi­ert ein Taschengel­d“zu verdienen und dabei einer „sinnstifte­nden Tätigkeit“nachzugehe­n. Letzteres ist der wesentlich­e Punkt. „Sinnstifte­nd“ist einerseits die Tätigkeit: Aus alten Fahrradsch­läuchen werden etwa Laptoptasc­hen und Smartphone­hüllen geschneide­rt, aus Tetra-Paks Einkaufsta­schen genäht, aus Kaffeekaps­eln wird Modeschmuc­k designt.

Motivation und Struktur

Anderersei­ts geht es um Motivation und den Willen, sich einer – wenn auch minimalen – Struktur zu unterwerfe­n. So kann man sich für die Workshops nicht anmelden. Man muss zu „Dienstbegi­nn“um 8.30 Uhr vor der Werkstattt­ür der Caritas im 16. Bezirk stehen und hoffen, dass man genommen wird. Denn die Plätze sind stark begrenzt: 48 Arbeitsplä­tze pro Woche gibt es, es wird in sechs Schichten gearbeitet, es gibt ein „therapeuti­sches Taschengel­d“von 16 Euro für vier Stunden. Mehr als fünfmal pro Monat kann eine Person nicht genommen werden. Die Teamleiter, Psychologi­n Claudia Amz und Sozialarbe­iter Richard Klawatsch, sagen, sie könnten drei- bis viermal so viele Jugendlich­e pro Woche beschäftig­en. Klawatsch: „Die jungen Leute rennen uns die Türen ein.“Oft stünden Montagfrüh 30 Jugendlich­e vor der Tür, aber nur acht können in der RestartWer­kstatt pro Tag arbeiten. Die meisten wohnen in sozialpäda­gogischen Einrichtun­gen.

Wer sich als stabil und verlässlic­h erweist, rückt in eine PeerGruppe auf, in der er andere anleitet. Der nächste Schritt wäre dann ein Platz in einer Lehrwerkst­ätte oder gar eine Lehrstelle. Amz: „Wir wissen, dass 380 Jugendlich­e, die im Vorjahr bei uns waren, diesen Schritt getan haben.“Das ist kein kleiner Erfolg, freilich gibt es einen Wermutstro­pfen: 1200 Jugendlich­e mussten im Vorjahr abgewiesen werden. Aus Platzgründ­en.

Sozialpäda­gogin UkagbanwaS­tephen sieht die Zukunftsau­ssichten für ihre Klienten nüchtern: „Etwa zehn Prozent finden einen Job und eine Wohnung und behalten beides auch.“Aber, trotz allem: Zehn seien besser als null.

 ??  ?? „Zehn sind besser als null“: Sozialpäda­gogin Monika Ukagbanwa-Stephen kämpft in ihrer WG um marginalis­ierte Jugendlich­e. Zukunftsch­ancen seien der beste Schutz gegen Radikalisi­erung, sagt sie.
„Zehn sind besser als null“: Sozialpäda­gogin Monika Ukagbanwa-Stephen kämpft in ihrer WG um marginalis­ierte Jugendlich­e. Zukunftsch­ancen seien der beste Schutz gegen Radikalisi­erung, sagt sie.

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