Renovierung unter Protest
In Moskau sollen Bürger aus alten Plattenbauten in neue umgesiedelt werden. Die Obrigkeit verspricht mehr Komfort, Betroffene sind skeptisch: Die Kritik richtet sich gegen Intransparenz und vermutete Korruption.
Oxana ist zufrieden mit ihrer Wohnung. „Das Haus stammt noch aus der Zarenzeit, die Wände sind vier Meter hoch; eine Seltenheit heute in Moskau“, schwärmt sie. Nun aber steht das dreistöckige Haus auf der „Renovierungsliste“der Stadtregierung. Angeblich ist es baufällig. Oxana kann keine Schäden entdecken. Fußböden und Wände sind in Ordnung. „Das Dach sei undicht, wurde uns gesagt, aber nachprüfen können wir das nicht“, so die 42-jährige Psychotherapeutin.
Die geplante „Renovierung“in Moskau ist das größte Bauprogramm in Russland seit dem Ende der Sowjetunion. Laut Schätzung des Duma-Abgeordneten Nikolai Gontschar soll es umgerechnet rund 55 Milliarden Euro kosten. Die Stadtregierung hat für die ersten drei Jahre des Programms knapp fünf Milliarden Euro aus dem Etat zur Verfügung gestellt. Entgegen seinem Namen sieht es nicht die Renovierung, sondern den Abriss alter Sowjetbauten und die Umsiedlung von deren 1,5 Millionen Bewohnern in neue Wohnhäuser vor. Laut Bürgermeister Sergej Sobjanin soll das Megaprojekt den Betroffenen „ein neues Niveau von Komfort“beim Wohnen ermöglichen.
Platte statt Kommunalka
Im Fokus stehen die sogenannten „Chruschtschowkas“– fünfstöckige Plattenbauten, die der ehemalige Parteichef Nikita Chruschtschow nach dem Vorbild europäischer Sozialwohnungen anfertigen ließ. Sie waren kompakt, billig und schnell fertig; ideal also um die Wohnungsnot in der Nachkriegszeit zu beseitigen. Insgesamt wurden 290 Millionen Quadratmeter Wohnraum im Chruschtschowka-Stil gebaut. Komfort boten die engen und schlecht gedämmten Wohnungen tatsächlich kaum, aber besser als eine „Kommunalka“; also eine Gemeinschaftswohnung, die sich mehrere Familien teilen mussten, waren sie allemal.
Allerdings waren die Chruschtschowkas für eine Nutzungsdauer von 25 Jahren ausgelegt – und sind daher hoffnungslos veraltet. Schon Sobjanins Vorgänger Juri Luschkow, Ehemann der Baulöwin Jelena Baturina, Russlands erster Dollarmilliardärin, hatte den Chruschtschowkas den Kampf angesagt. Am Ende überlebten die farblosen Fünfstöcker aber selbst den schillernden Bürgermeister, auch weil sich schon damals Widerstand gegen die rücksichtslose Abrisspolitik regte.
Auch diesmal rührt sich Protest: Mitte Mai versammelten sich tausende Moskauer (die Polizei sprach von 5000, die Organisatoren von 30.000 Teilnehmern), um gegen den Abriss ihrer Häuser zu demonstrieren. Eine der Urheberinnen des Protests ist die Moskauerin Cary Guggenberger. Der von ihr gegründeten FacebookGruppe „Moskauer gegen den Abriss“sind inzwischen gut 24.000 Russen beigetreten.
Sie habe sich bewusst für eine Chruschtschowka im grünen und zentralen Stadtbezirk Sawjolowskaja entschieden und viel Geld in Kauf und Renovierung der Wohnung gesteckt. „Jetzt hat uns die Präfektur gesagt, dass wir, ‚der Pöbel‘, nicht im Bezirk bleiben dürfen“, kritisiert sie. Das Programm sei von Intransparenz und Korruption gekennzeichnet.
Tatsächlich wirft die Auswahl der Abrissobjekte Fragen auf. Oxannas Haus, beispielsweise, ist keine Chruschtschowka, steht aber auf der Liste. Andere Moskauer kämpfen seit Jahren um eine Verbesserung ihrer Wohnverhältnisse, werden bei dem Umsiedlungsprogramm aber übergangen. „Unser Haus ist total heruntergekommen, der Verschleiß liegt bei 70 Prozent. Im Anbau, einem zweistöckigen Wohnheim, sind Löcher in der Decke. Aber wir stehen nicht auf dem Programm“, klagt Buchhalterin Natascha.
Auffällig oft betroffen von der „Renovierung“sind Häuser in Zentralmoskau, wo die Grundstückspreise hoch sind. Gegner vermuten ein Konjunkturprogramm für Baukonzerne im Dunstkreis der Stadtverwaltung. Die Krise hat den Immobiliensektor lahmgelegt, viele Neubauten finden keine Käufer. Die Renovierung wäre somit das ideale Sanierungsprogramm für die pleitebedrohten Baufirmen.
Der Druck von der Straße setzt die Politik unter Zugzwang. In der Duma wurden Nachbesserungen zum Gesetz – mehr Mitspracherechte der Bürger – gefordert. Selbst der Kreml, der das Projekt zunächst mittrug, will sich nun davon weitgehend distanzieren.