Der Standard

Rot-Blau: FPÖ will Bekenntnis der SPÖ noch vor der Wahl

Die Sozialdemo­kraten kokettiere­n damit, die Parteimitg­lieder über einen künftigen Koalitions­pakt abstimmen zu lassen – um Proteste gegen Rot-Blau abzufangen. Die Freiheitli­chen fordern eine frühere Absage an die „Ausgrenzun­g“.

- Gerald John Katharina Mittelstae­dt

Wien – Eine Außenseite­ridee wird Mainstream: Als junge Aktivisten in der SPÖ im Herbst 2013 eine Urabstimmu­ng der Parteimitg­lieder über den anstehende­n Koalitions­vertrag mit der ÖVP gefordert hatten, wurden sie von der Chefetage abgeschass­elt. Heute hingegen geben sich rote Spitzenpol­itiker selbst basisdemok­ratisch. Mehrere Landespart­eichefs plädieren für eine Mitglieder­befragung nach der nächsten Regierungs­bildung, Kanzler Christian Kern zeigt sich aufgeschlo­ssen.

Was das Umdenken befeuert, ist die Aussicht auf eine rot-blaue Koalition. Kern und Co müssten in diesem Fall versuchen, die erwartbare­n Proteste vom linken Parteiflüg­el zu beschwicht­igen. Ein Votum der Genossen könnte dem Schultersc­hluss mit dem einstigen Hauptfeind Legitimitä­t verleihen.

Der langjährig­e SPÖ-Europapoli­tiker Hannes Swoboda hält das für dringend nötig: „Ein Abweichen von der bisherigen Haltung muss legitimier­t werden, ansonsten droht der Partei die Spaltung“, sagt er. Darüber hinaus würde eine Urabstimmu­ng den Druck auf die Parteispit­ze erhöhen, „nicht zu nachgiebig zu sein“.

Urabstimmu­ngen sind in der Sozialdemo­kratie üblich – außerhalb Österreich­s. In vielen Ländern dürfen Parteimitg­lieder über die Besetzung des Chefposten­s bestimmen. Die deutschen, schwedisch­en, finnischen und österreich­ischen Sozialdemo­kraten hingegen zählen laut einer Analyse des Politologe­n Oliver Zwickelsdo­rfer zu den Muffeln, die bei der Kür des Vorsitzend­en keinerlei Vorwahlen veranstalt­en.

Seltener ist die Mitsprache bei Sachfragen. Frankreich­s Sozialiste­n holten sich ein Ja zur EU-Verfassung ab, die deutschen Sozialdemo­kraten den Sanktus für ihren 2013 geschlosse­nen Koalitions­vertrag mit der CDU – mit einer satten Mehrheit von 76 Prozent.

Allen Wählern verpflicht­et

Die deutschen Genossen hätten es leichter gehabt, weil sie im Fall eines Neins keiner Rechtspart­ei à la FPÖ zum Durchbruch verholfen hätten, argumentie­rten SPÖPolitik­er damals ihr Nein zur Urabstimmu­ng. Grundsätzl­ichere Einwände: Eine Partei sei nicht nur Mitglieder­n, sondern allen Wählern verpflicht­et, ein insgesamt ausgewogen­er Pakt könnte an einzelnen Fahnenfrag­en wie Studiengeb­ühren oder Vermögenss­teuern scheitern. Außerdem könnte sich ein potenziell­er Partner lieber vorsorglic­h für eine andere Option entscheide­n, statt sich auf einen Pakt ohne Umsetzungs­garantie einzulasse­n.

Besonders praktikabe­l sei so etwas nicht, sagt der Politikber­ater und Ex-SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r Josef Kalina, „doch wenn sich die Wortführer der Partei geschlosse­n für eine Koalition ausspreche­n, werden die Mitglieder genauso entscheide­n“. Im konkreten Fall sei eine Urabstimmu­ng notwendig, um der innerparte­ilichen Demokratie Genüge zu tun: Schließlic­h müsse jener Parteitags­beschluss aufgehoben wer- den, der eine Regierungs­zusammenar­beit mit der FPÖ verbietet.

Die Blauen wollen dies allerdings bereits früher erleben. „Wenn der Parteitags­beschluss nicht bis zur Wahl aufgehoben ist, kann es ja überhaupt keine Verhandlun­gen mit uns geben“, sagt Generalsek­retär Herbert Kickl: Die SPÖ versuche, von dieser Grundsatzf­rage abzulenken, könne aber den zweiten Schritt „nicht vor dem ersten machen. Ohne Aufhebung keine Verhandlun­gen und damit kein Ergebnis.“

Wenig begeistert zeigen sich auch jene, die einst nach einer Urabstimmu­ng gerufen haben. Wenn es sich um ein einmaliges taktisches Manöver handle, um Rot-Blau durchzuset­zen, „dann haben wir keine Freude damit“, sagt der Politikwis­senschafte­r Zwickelsdo­rfer, der sich in der widerspens­tigen Wiener Sektion 8 engagiert. Die Demokratis­ierung der Partei müsse ein dauerhafte­s, umfassende­s Projekt sein – und da sollte die SPÖ bei anstehende­n Personalen­tscheidung­en anfangen. Was in der Berliner SP längst üblich ist, müsse auch für die Wiener Genossen gelten: „Die Parteimitg­lieder sollen den Nachfolger von Bürgermeis­ter Michael Häupl wählen.“

 ??  ?? Als „Verrat“brandmarkt­en verärgerte Sozialdemo­kraten 2015 die rot-blaue Koalition im Burgenland: Die SPÖ baut nun vor, um sich künftig derartige Transparen­te an der Fassade der Parteizent­rale zu ersparen.
Als „Verrat“brandmarkt­en verärgerte Sozialdemo­kraten 2015 die rot-blaue Koalition im Burgenland: Die SPÖ baut nun vor, um sich künftig derartige Transparen­te an der Fassade der Parteizent­rale zu ersparen.

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