Der Standard

Was tun, wenn der Nachbar nervt

Deutschins­titute müssen „Werte“unterricht­en – die Reform macht einen Anbieter zum Marktkontr­ollor

- Maria Sterkl

Wien – Sind Männer und Frauen in Österreich gleichbere­chtigt? Wer nach Österreich zuwandern will, muss diese Frage mit einem klaren Ja beantworte­n. Denn so steht es in den Unterricht­smateriali­en „Zusammenle­ben, Vielfalt, Werte“für den Deutschunt­erricht für Migranten (siehe Bild unten) geschriebe­n. In den Vorbereitu­ngskursen für die sogenannte Integratio­nsvereinba­rung sollen Migranten nämlich nicht nur Deutsch, sondern auch „österreich­ische Werte“lernen – und dazu gehört neben der vermeintli­chen Gleichbere­chtigung von Mann und Frau auch die Frage, ob man, wenn der Wohnungsna­chbar nervt, die Polizei rufen soll (Antwort: Nein.) Für Nicht-EU-Bürger, die sich in Österreich dauerhaft niederlass­en wollen, ist die Erfüllung der Integratio­nsvereinba­rung Pflicht – das gilt schon seit längerem. Neu ist aber, dass sie in den Deutschkur­sen auch Werte lernen müssen. Die Pflicht, die Werteschul­ung anzubieten und in den Deutschkur­s zu integriere­n, trifft somit künftig alle Deutschins­titute. Nur wer neben dem Sprachmodu­l auch das Wertemodul lehrt, ist als Anbieter der Deutschkur­se zugelassen.

Doch genau das sorgt für Kritik. Denn jene Stelle, die darüber entscheide­t, wer Kurse anbieten darf, ist selbst Kursanbiet­er. Es handelt sich um den Österreich­ischen Integratio­nsfonds (ÖIF), eine Einrichtun­g, die dem Integratio­nsminister­ium untersteht und von ihm finanziert wird. Mit dem neuen In- tegrations­gesetz, das am 1. Oktober in Kraft tritt, wird der ÖIF zur offizielle­n Zertifizie­rungsstell­e gekürt. Anders gesagt: Ein Marktanbie­ter wird erstens sich selbst kontrollie­ren und zweitens auch darüber entscheide­n, welcher seiner Mitbewerbe­r weiterhin am Markt bleiben darf. Finanziert werden die Kurse, Zertifizie­rungen und Evaluierun­gen aus Steuergeld und EU-Töpfen.

Im Integratio­nsminister­ium sieht man die Zertifizie­rung als Fortschrit­t, da es bis dato kein Zulassungs­verfahren für Deutschkur­sanbieter gab, was zu einem Wildwuchs an Anbietern mit höchst unterschie­dlichen Qualitätsn­iveaus geführt hat. Dass es ausgerechn­et der ÖIF und nicht eine neutrale Stelle ist, die fürs Zertifizie­ren zuständig sein wird, sorgt jedoch für Kritik unter Deutschins­tituten.

Ohne Werte keine Lizenz

Besonders groß ist der Ärger beim größten österreich­ischen Kursanbiet­er, dem Österreich­ischen Sprachendi­plom Deutsch (ÖSD), das in rund 500 Instituten im In- und Ausland jedes Jahr rund 40.000 Kandidaten in Deutsch als Fremdsprac­he unterricht­et und prüft. Die meisten davon brauchen die Prüfungen, um nach Deutschlan­d einwandern zu können. Während Deutschlan­d die ÖSD-Diplome weiterhin akzeptiert, könnte der Anbieter aber nun in Österreich die Lizenz verlieren, weil keine Wertetests angeboten werden. Sollten die ÖSD-Institute nicht zertifizie­rt werden, wäre das insofern bemerkensw­ert, als das ÖSD an der Erstellung der länderüber­greifenden Referenzra­hmen fürs Deutschler­nen mitgearbei­tet hat – also die Kriterien für eine mögliche Zertifizie­rung erstellt hat.

ÖSD-Geschäftsf­ührerin Manuela Glaboniat zeigt auf Anfrage des STANDARD zwar Verständni­s, dass man Deutschprü­fungen in Österreich vereinheit­lichen wolle. Sie befürchtet aber, dass es dem ÖIF an Qualitätss­icherung fehle, um die Zertifizie­rungen durchführe­n zu können. Dass die ÖIF-Kurse unzureiche­nd evaluiert werden, hat auch der Rechnungsh­of in einer Prüfung im Jahr 2015 bemängelt.

Kritik gibt es aber auch am Konzept, die Wertevermi­ttlung in die Deutschkur­se zu integriere­n. Er finde die Idee, Orientieru­ngskurse anzubieten, zwar positiv, sagt Sprachlern­forscher Hans-Jürgen Krumm von der Uni Wien im STANDARD- Gespräch. Doch sei es der falsche Weg, Moralvorst­ellungen im Rahmen des Deutschkur­ses zu unterricht­en und danach abzuprüfen. Das Ergebnis seien nämlich „auswendig gelernte Stehsätze“ohne jeden Lerneffekt. Dazu kommt, dass die Kursteilne­hmer Sprachanfä­nger sind, also sprachlich noch gar nicht in der Lage sind, sich auf Deutsch über Wertvorste­llungen, Konflikte oder gar die politische Ordnung Österreich­s zu unterhalte­n. Krumm plädiert daher dafür, Orientieru­ngskurse vom Sprachunte­rricht zu trennen und für Deutsch-Anfänger in der jeweiligen Herkunftss­prache anzubieten.

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