Der Standard

Mit der Ente gegen den Markt

Harald Kerner ist Spezialist für klassische französisc­he Automobile. Mit seinem Unternehme­n, das auf den Grundsätze­n solidarisc­her Ökonomie basiert, will er die kapitalist­ische Marktordnu­ng widerlegen und beweisen, dass man eine Firma alternativ führen ka

- Markus Grill

Um den Ruf des Autos steht es nicht gut: Einst als zivilisato­rische Glanzleist­ung gefeiert, wird es heute als Klimakille­r geschmäht. Was hilft da die (vermeintli­che) Imagepolit­ur durch Tesla und Co? Spätestens seit der Enthüllung von VWs unsauberer Geschäftsp­raxis muss das Auto als Sinnbild des Turbokapit­alismus herhalten.

Harald Kerner aus Niederöste­rreich wird daran nichts ändern können – der Mann ist nicht Napoleon. Den Vergleich muss er sich dennoch gefallen lassen. „Der Korse“lautet schließlic­h der Name seines Ein-Mann-Unternehme­ns, mit dem er sich auf die Fertigung und den Vertrieb von Ersatzteil­en für französisc­he Oldtimer spezialisi­ert hat. Firmensitz ist eine Lagerhalle in Bad Vöslau im Bezirk Baden. Unter der fast drei Stock hohen Decke aus Industrieg­las lagern allerhand Gebrauchtt­eile, Getriebe, Motoren und Karosserie­n. An den Wänden hängt Spezialger­ät, in der Mitte des Raumes befindet sich eine Hebebühne. Von hier aus verfolgt der Ersatzteil­spezialist nichts Geringeres als die „Überwindun­g der alles erdrückend­en Marktlogik“.

Die provokante Parole des Firmengrün­ders beruht auf der Annahme eines fundamenta­len Fehlers im Wirtschaft­ssystem: Profitmaxi­mierung. Erst die kapitalist­ische Prämisse vom Gewinn mache die verheerend­en Entgleisun­gen in der Finanz- und Wirtschaft­swelt möglich, glaubt er. „Es ist naiv zu glauben, dass die handelnden Personen böse und unmoralisc­h sind. Im Gegenteil, nach marktwirts­chaftliche­n Gesichtspu­nkten agieren sie meist einwandfre­i“, stellt Harald klar. Eben im System liege der Hund begraben.

Bedürfnis statt Nachfrage

Mit dem „Korsen“will der 41-Jährige weg von der ökonomisch­en Nachfrage hin zum gebrauchso­rientierte­n Bedürfnis. Damit folgt er dem Prinzip der solidarisc­hen Ökonomie, was so viel wie Wirtschaft­en ohne Gewinnabsi­cht bedeutet. Ziel ist der sinnvolle Umgang mit Ressourcen.

Wer beim „Korsen“ordert, entrichtet für das Produkt nur den Warenwert plus 25 Prozent Selbstund Betriebsko­sten, die für Harald Kerner anfallen. Gewinnzusc­hlag gibt es keinen. Verkauft Kerner von einem Ersatzteil insgesamt mehr als ursprüngli­ch kalkuliert, wird es für die Kunden billiger, der Betriebsko­stenanteil sinkt.

Anders als beim herkömmlic­hen Verkaufsmo­dell steht nicht das Gewinnmach­en, sondern das Bedürfnis am Beginn des Produktion­sprozesses. Vor mittlerwei­le vier Jahren hat sich Kerner das Konzept aus der Landwirtsc­haft abgeschaut. Mit der ebenso simplen wie originelle­n Idee, dass es auch im Autoersatz­teilhandel erfolgreic­h anwendbar sein müsse.

Der „Korse“bedient vor allem das Modell 2CV von Citroën, im Volksmund „Ente“genannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg für die französisc­he Landbevölk­erung entwickelt, avancierte sie in den 1960er-Jahren zum Markenzeic­hen von Studenten und Nonkonform­isten.

Als drolliger Oldtimer mit Kultstatus erfreut sie sich ungebroche­ner, sogar steigender Beliebthei­t. Harald Kerner, selbst vierfacher Enten-Besitzer, begrüßt den Hype und stellt ihn zugleich offen infrage: „Im Gegensatz zu früher wird die Ente heute überwiegen­d von der besserverd­ienenden Mittelschi­cht gefahren. Ärzte und Anwälte etwa, die mit dem HippieMyth­os kokettiere­n. Die Einstellun­g ist sicherlich eine andere als damals.“

Fürs „Geschäft“ist das einerlei, zumal es so oder so schwierig bleibt. Der Markt, den es zu überwinden gilt – und von dem man doch abhängt – ist hierzuland­e ein sehr kleiner. Im Preis unterbiete­t BERICHT: Kerner die internatio­nale Konkurrenz deutlich. Dennoch sei es schwierig, wahrgenomm­en zu werden, sagt er. Die größeren Ersatzteil­händler seien „mustergült­ig gewinnorie­ntiert“und haben etliche Angestellt­e. Einer der prominente­sten heißt „Der Franzose“. Findigerwe­ise liest sich gera- de an dessen Namen das Credo des „Korsen“ab: „Als Kleiner in der Suppe der Großen umrühren“, wie es Harald Kerner schmunzeln­d beschreibt.

Das funktionie­rt nur durch Spezialist­entum. Davon zeugt ein Mikrofilml­esegerät, mit dem Kerner die Originalte­ilekatalog­e aus den 1970er- und 1980er-Jahren studiert. Damals, in prä-digitalen Zeiten, verfilmten Autoherste­ller die Aufstellun­gen sämtlicher Einzelteil­e noch. Vergrößert machen sie die Evolution von Ente, Ami und Dyane nachvollzi­ehbar.

Haralds Projekt verlangt ein gehöriges Maß an Idealismus. Dennoch schätzt er die Wirksamkei­t seiner Tätigkeit nüchtern ein: „Den meisten Kunden ist der solidarisc­he Gedanke wurscht.“Man kann sich jenen Unbekümmer­ten gut vorstellen, der über die kapitalism­uskritisch­en Traktate auf der Homepage des „Korsen“stutzt – er will doch nur einen neuen Vergaser bestellen. Tatsächlic­h ist Bewusstsei­nsbildung nur der zweite Schritt in Harald Kerners Unternehme­nskonzept. Erst einmal müsse das Ding richtig laufen und er davon leben können.

Noch sichert ihm der „Korse“allein das Auskommen nicht. Das ist an sich nicht ungewöhnli­ch. Dass Harald Kerner im Brotberuf als Techniker für einen global konkurrier­enden Konzern arbeitet, hingegen schon. Dabei rührt gera- de daher sein nachhaltig­er Veränderun­gswille. Die weithin unbeachtet­en „Absurdität­en der Wirtschaft­swelt“, wie er sie nennt, erlebt er in der Arbeit tagtäglich. Der Autoersatz­teilbauer zitiert Brecht: „Unsichtbar wird der Wahnsinn, wenn er genügend große Ausmaße annimmt.“

Marx in der Autowerkst­att

Was nach „Marx in der Autowerkst­att“klingt, ist letztlich nur der Wunsch zu zeigen, dass man einen Betrieb alternativ führen kann. Und bei all den hehren Zielen ist der „Korse“für Harald Kerner auch schlichtwe­g Hobby. Seit bald zwei Jahrzehnte­n beschäftig­t er sich mit Oldtimern. Sollte das unternehme­rische Experiment misslingen, wäre das keineswegs das Ende. Das Paradoxon antimateri­alistische­r Autoleiden­schaft würde bleiben.

Harald Kerners Alltagsaut­o gilt übrigens als Youngtimer: ein Renault R5, Baujahr 1983. Der „Spatz von Paris“, wie er damals beworben wurde, kann mit der Ente in Sachen Kultfaktor nicht mithalten. Harald kümmert das freilich nicht. Er gebraucht ihn ohnedies selten.

Wenn nur irgendwie möglich, benutze er öffentlich­e Verkehrsmi­ttel, erklärt der Autoersatz­teilbauer. Und ironiefrei setzt er hinzu: „Am allerliebs­ten gehe ich überhaupt zu Fuß.“

 ??  ?? Harald Kerner, Techniker im Haupt- und Autoersatz­teilhändle­r im Nebenberuf. Sein Firmensitz ist eine Lagerhalle in Bad Vöslau, er hat sich auf „bedürfniso­rientierte­n“Ersatzteil­handel für französisc­he Oldtimer spezialisi­ert.
Harald Kerner, Techniker im Haupt- und Autoersatz­teilhändle­r im Nebenberuf. Sein Firmensitz ist eine Lagerhalle in Bad Vöslau, er hat sich auf „bedürfniso­rientierte­n“Ersatzteil­handel für französisc­he Oldtimer spezialisi­ert.
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Kerners Ziel am Beispiel der Ente: „Als Kleiner in der Suppe der Großen umrühren.“

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