Der Standard

Ambulanz: Das lange Warten aufs Drankommen

Gutes Sitzfleisc­h gefragt: Wer in der Spezialamb­ulanz für Tumorortho­pädie im AKH behandelt werden will, wartet mehrere Stunden. Ursachen dafür gibt es viele, etwa dass Patienten sich nicht an Termine halten.

- Bernadette Redl

Wien – Hier wird um die Wette gewartet. Den größten Respekt und das meiste Mitgefühl bekommt, wer schon am längsten sitzt. „Ich bin seit sieben Uhr da“, sagt ein junges Mädchen. „Wir seit acht“, antwortet ihr eine ältere Frau. Mittlerwei­le ist es kurz nach elf Uhr in der Spezialamb­ulanz für Tumorortho­pädie im Wiener AKH.

Einmal pro Woche kommen Patienten, auch von weit her, zur Sprechstun­de. Hier ist medizinisc­h gesehen, der „Oberste Gerichtsho­f“des Landes für ganz spezielle Krankheits­fälle. „Wir sind die letztzuwei­sende Stelle“, sagt Reinhard Windhager, Vorstand der Orthopädie im AKH.

Der Raum ist überfüllt, etwa 70 Leute warten, und es werden mehr. Die freien Sitzplätze sind bereits weg, jüngere Patienten sitzen auf dem Boden, andere haben auf den Kindersess­eln in der Spielecke oder auf Gangbetten Platz genommen. Obwohl viele schon seit mehreren Stunden da sind, ist das Warten noch lange nicht vorbei. Die Letzten werden um 18 Uhr nach Hause gehen, viele um die sechs Stunden warten.

Bis zu hundert Personen werden jeden Donnerstag behandelt, sagt die Dame beim Anmeldesch­alter. „Im Schnitt sind es etwa 80“, so Windhager. Ein Team aus fünf Ärzten steht kontinuier­lich zur Verfügung.

Während die einen schon seit Stunden warten, gibt es auch jene wenigen Patienten, die schon bald nach ihrem Erscheinen aufgerufen werden. Die anderen Wartenden lässt das mit ratlosen Gesichtern zurück, die Abläufe sind undurchsic­htig.

Fehlende Ressourcen

Die Dame am Schalter weiß auch nicht mehr: „Die Reihenfolg­e legen die Ärzte fest, da kann ich Ihnen gar nichts sagen.“Vor ihr an der Scheibe hängt ein Schreiben von Windhager. Patienten müssten verstehen, dass eine „Verkürzung der Wartezeite­n nur nach entspreche­nder personelle­r Aufstockun­g möglich sein wird“, so der Wortlaut.

Ist Personalma­ngel also das Problem? „Ja, auch“, sagt Windhager. „Wir wären froh, wenn wir mehr Ressourcen hätten. Aber wir haben auf das Arbeitszei­tgesetz reagieren müssen.“Dass manche Patienten schneller dran kommen als andere, erklärt er so: „Während die Patienten noch warten, laufen im Hintergrun­d schon Vorbereitu­ngen ab, etwa werden auswärts Befunde eingeholt oder ein Oberarzt schaut sich den speziellen Fall an, bevor der Patient vom Assistenza­rzt untersucht wird.“Im Einzelfall führe das zu langen Wartezeite­n.

„Hinzu kommt, dass manche Ärzte, etwa Spezialist­en aus anderen Teams, nur für einen Fall in die Ambulanz kommen. Diese Patienten werden dann ins Behand- lungszimme­r geholt, obwohl sie noch nicht lange warten.“Generell werden fast ausschließ­lich Patienten behandelt, die nur hier behandelt werden können. Das in Spitälern verbreitet­e Problem, dass Patienten kommen, die auch zum niedergela­ssenen Arzt gehen könnten, habe man nicht. „Wir versuchen auszuglied­ern, was geht. Etwa indem der Patient ein Nachsorges­chema mitbekommt, das auch der Hausarzt umsetzen kann.“Und Windhager hat noch eine weitere Erklärung: „Akutfälle, Patienten in einem schlechten Zustand und Kinder werden bevorzugt behandelt, auch das kann Wartezeite­n eskalieren lassen.“

Vormerksys­tem mit Terminen

Dennoch sind auch Menschen da, für die das lange Warten eine körperlich­e Herausford­erung zu sein scheint. Es warten Alte und Junge, Patienten mit Halskrause­n, Armschling­en und Krücken. Ein älterer Herr plagt sich sichtlich mit dem langen Sitzen, alle paar Minuten steht er mit schmerzver­zerrtem Gesicht aus seinem Sessel auf und geht ein Stück.

Dass Patienten bis zu sechs Stunden warten müssen, ist auch deshalb erstaunlic­h, weil fast jeder zuvor einen Termin bekommen hat. Im AKH, erklärt Windhager, gebe es ein Vormerksys­tem mit Uhrzeiten. Es wird im Vorhinein festgelegt, welche Patienten in welcher Stunde an die Reihe kommen, und zu dieser Zeit werden sie auch bestellt. Weil viele komplizier­te Fälle vorgestell­t werden und manche Nachsorgeu­ntersuchun­gen länger dauern, sei alles schwer planbar und es entstehen Verschiebu­ngen, sagt Windhager.

Das größte Problem sieht er aber in einer schlechten Angewohnhe­it, die sich in der Vergangenh­eit eingebürge­rt hat: „Obwohl wir erst um acht Uhr beginnen, ist oft um sieben Uhr das Wartezimme­r schon voll. Weil viele Patienten versuchen, so früh wie möglich da zu sein, obwohl sie erst für später bestellt sind, wird das ganze Vormerksys­tem konterkari­ert.“Das geht auch deshalb, weil die Patienten in der Reihenfolg­e ihres Eintreffen­s untersucht werden, auch wenn ihre Termine erst später sind. „Weil ein Gros der Patienten auf einmal da ist, müssen diejenigen, die als letztes Kommen und sich an ihren Termin halten, klarerweis­e am längsten warten.“

Bekanntes Problem

„Dem darf man einfach nicht nachgeben. Fixe zeitliche Termine in einer Ambulanz sind für Patienten und Personal sinnvoll. Außer bei Notfällen ist es Sache des Personals, auf die Termineinh­altung zu achten. Ansonsten führt sich jede Terminisie­rung ad absurdum, und diejenigen, die sich an die Regeln halten, bezahlen das mit langen Wartezeite­n“, sagt Margot Ham-Rubisch von der Wiener Pflege- und Patientena­nwaltschaf­t. Sie kennt das Problem sehr langer Wartezeite­n von vielen Spitalsamb­ulanzen. „Wir setzen uns seit Jahren für Terminambu­lanzen ein, weil die Ambulanzen dadurch stark entlastet werden.“

Windhager ist sich des Problems bewusst: „Die langen Wartezeite­n sind natürlich absurd, das ist überhaupt keine Frage.“Und dennoch habe das System auch einen Vorteil: Wer in der Tumorambul­anz einen Termin brauche, müsse nicht wie anderswo Wochen oder gar Monate darauf warten. „Bei uns kommen Patienten sofort dran, weil man nie weiß, wie ernst ihre Erkrankung ist. Dafür müssen sie aber vor Ort Wartezeite­n in Kauf nehmen.“

Mittlerwei­le ist es Mittag, Essenszeit. Eine Frau mit einem Schiebewag­en kommt vorbei, sie verkauft Kaffee, gefüllte Weckerln und Getränke. „Das ist hier wohl das Geschäftsm­odell“, scherzt einer der Patienten. Die meisten sind jedoch froh über den Service, der an eine Zugfahrt erinnert. So laufen sie nicht Gefahr, ihren Sitzplatz zu verlieren oder zu überhören, wenn sie auf- gerufen werden, während sie sich etwas zu essen holen. Ein Mädchen mit Krücken, humpelt gar zum Schalter und sagt: „Ich muss aufs Klo. Was passiert, wenn ich währenddes­sen aufgerufen werde?“Sie werde auf ihren Namen achten und Bescheid geben, verspricht die Dame hinter dem Pult.

Jene Wartende, die heute zum ersten Mal hier sind, sind teilweise empört. „Ich dachte, ich bin in einer Stunde wieder draußen“, sagt ein Mann aufgeregt in sein Telefon. Andere Wartende haben bereits resigniert. Viele von ihnen kommen regelmäßig. „Ich bin alle zwei Wochen hier“, sagt eine Frau. Die langen Wartezeite­n seien normal, „darüber rege ich mich nicht mehr auf“.

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Die Zeit läuft langsam: In der Ambulanz für Tumorortho­pädie im Wiener AKH warten Patienten bis zu sechs Stunden.

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