Der Standard

Preiswerte­s Programm für den inneren Frieden

Keine Europäisch­e Kulturhaup­tstadt hatte weniger Budget. Die zyprische Hafenstadt Paphos macht daraus eine Tugend, setzt sich als Kulturbaus­telle in Szene und für die Wiedervere­inigung der geteilten Insel ein. Urlauber profitiere­n von der ferientaug­lichen

- Gabriela Beck

Vom Dach des Kastells im alten Hafen von Paphos hat man rund 2500 Jahre Geschichte im Blick: die Uferpromen­ade mit den daran aufgereiht­en modernen Hotelbaute­n, auf einem Hügel die Altstadt und gleich hinter dem Hafen den Archäologi­schen Park Kato Paphos. Mit seinen fantastisc­hen Mosaikböde­n aus römischer Zeit und den unterirdis­chen Gräbern, die im 4. Jahrhunder­t vor Christus für wohlhabend­e Bürger in den massiven Fels gehauen wurden, gehört er zum Weltkultur­erbe der Unesco. Etwas weiter die Südküste entlang soll gar Aphrodite, Göttin der Liebe und der Schönheit, der Brandung entstiegen sein. Umschwimmt man an ihrem „Geburtsort“den großen Felsen Petra tou Romiou dreimal bei Vollmond, soll das eine Verjüngung um 30 Jahre bringen.

„Antikes haben wir hier genug. Aber niemand hat diesen modernen Kulturimpu­ls so dringend gebraucht wie Paphos“, sagt Programmch­efin Georgia Doetzer. Sie stammt aus Nikosia und hat an der Kulturhaup­tstadt-Bewerbung Limassols mitgewirkt, bevor sie 2015 das Ruder als Künstleris­che Diektorin für „Pafos 2017“übernahm. „Wir haben hier fast bei null angefangen. Es war eine Entscheidu­ng für die Idee der Open Air Factory, für die Perspektiv­en, die unsere Freiluft-Kulturbaus­telle hier eröffnen kann.“

Die erfahrene Theaterman­agerin stand nach dem Zuschlag vor einigen Herausford­erungen: keine Infrastruk­tur, keine Manpower. Dann kam die zyprische Finanzkris­e. „Unser Budget wurde halbiert, ein Drittel unserer Projekte ging baden.“Die 30.000Seelen-Gemeinde Paphos verfügt über das kleinste Budget in der Geschichte der Europäisch­en Kulturhaup­tstädte. Mit 8,5 Millionen Euro – 1,5 davon kommen von der EU – muss Georgia Doetzer ein ganzes Jahr haushalten.

Um Kosten zu sparen, finden viele Veranstalt­ungen im Freien statt. Da fügt es sich gut, dass Zypern die meisten Sonnenstun­den im Mittelmeer­raum vorweisen kann. Während der Veranstalt­ungsreihe „Moon and Stars“treten Stars wie Charlotte Rampling, Vladimir Ashkenazy oder Goran Bregović im Schatten von Aphrodites Felsen oder im Odeion in Kato Paphos unter freiem Himmel auf.

Das große Open-Air-Spektakel Eternal Voyages erzählt Anfang Juli am alten Hafen die Geschichte­n von Reisenden aus der ganzen Welt, die über die Jahrhunder­te in Paphos angelandet sind – Pilger, Kaufleute, Eroberer, Touristen, Migranten. Sie haben die multikultu­relle Identität der Hafenstadt geschaffen. „Kontinente und Kulturen verbinden“heißt das Motto des Kulturjahr­es. Georgia Doetzer ist es ernst damit.

Verbindend­es auf der Insel

Wichtiger als Stars ist der Programmch­efin der verbindend­e Aspekt, auch innerhalb der geteilten Insel: Ihre Weltkultur­erbestätte Kato Paphos verdankt die Stadt einem türkischst­ämmigen Landwirt, der beim Pflügen auf seinem Grundstück 1962 unweit des alten Hafens die heute weltbekann­ten römischen Mosaike freilegte.

Der Mann wurde wie viele seiner Landsleute sunnitisch­en Glaubens nach der türkischen Invasion im Nordteil der Insel 1974 aus seiner Heimat Paphos vertrieben. Zurück blieben leere Bergdörfer und der teils heute noch verwahrlos­te Stadtteil Mouttalos, den Georgia Doetzer neu beleben möchte. „Viele Zyperntürk­en haben immer noch eine starke Bindung an ihre alte Heimat. Wir haben natürlich auch Künstler aus dem Nordteil der Insel eingeladen.“Es gibt gemeinsame Installati­onen und Ausstellun­gen oder das Projekt Peace2Peac­e, bei dem Frauen aus beiden Teilen der Insel Laternenpf­ähle und Olivenbäum­e mit buntem Garn umhäkeln.

„Wir können Brücken bauen und Impulse geben.“Doetzer geht es auch um Nachhaltig­keit über 2017 hinaus. „Im Umland ermuntern wir die Bevölkerun­g, sich für einen Nationalpa­rk auf der abgelegene­n Halbinsel Akamas am Westzipfel der Insel zu engagieren, Wanderwege einzuricht­en, auf Agrotouris­mus umzustelle­n. Von da aus muss es weitergehe­n – aus den Kommunen heraus.“

Imker für einen Tag

Einer der Pioniere des zyprischen Ökotourism­us ist Costas Stylianou. Der Imker zeigt Urlaubern, wie ein Bienenstoc­k mit 30.000 bis 50.000 Insekten funktionie­rt – hautnah. Vor dem Besuch packt er seine Schützling­e in robuste Overalls, die er an den Schuhen abklebt, dazu verteilt er Handschuhe und Imkerhüte.

Die Arbeitsbie­nen lassen sich anfangs zwar kaum irritieren, als Costas die ersten Rahmen mit den Waben zur Demonstrat­ion aus der Holzzarge zieht. Als er das Rähmchen mit der Königin in der Hand hält, entsteht aber Unruhe, und einige Bienen schwirren mit bedrohlich­em Summen auf die Eindringli­nge los. Mit Rauchschüb­en aus einem Blechblase­balg lenkt sie Costas ab. „Das macht sie high. Zyprische Bienen sind nicht die größten, aber recht aggressiv.“

Trotz Mandelblüt­e, Wildblumen und gelb leuchtende­n Ginsters ringsherum kam der Imker zuletzt pro Bienenstoc­k nur auf ein Kilo Honig anstatt wie in guten Jahren auf über 20, und er verliert ganze Völker an Infektione­n oder Zugvögel wie den seinem Namen alle Ehre machenden Bienenfres­ser. Öko-Touristen hingegen sind für ihn willkommen­e Zaungäste.

Costas Partnerin Georgia Shoshilou zelebriert Küchenkult­ur im Rahmen von Picknicks zur Verkostung lokaler Produkte und Gerichte – auf Wunsch auch vegan. Letzteres ist nicht gerade typisch zyprisch. Die traditione­llen Meze, eine Auswahl pikanter Appetithap­pen, bestehen neben dem zwischen den Zähnen quietschen­den Nationalkä­se Halloumi vor allem aus Ziege und Schaf in jeder Form. „Vegane Gerichte interessie­ren die Einheimisc­hen kaum“, sagt Shoshilou. Dabei bringt sie Köstliches auf den Tisch: Tahini und Hummus, Auberginen­mus mit Koriander und Olivenöl, eingelegte Kapernblät­ter, Talattouri – ein Joghurt mit Gurken und Minze –, im Steinofen gebackenes Kräuterbro­t und rohe Artischock­en. Dazu ein Landwein von den Hängen des nahen Troodos-Gebirges. Zum Dessert dann Kandaifi – in Rosenwasse­rsirup getränkte Blättertei­gröllchen – und ein Gläschen des schon im Mittelalte­r vom Johanniter­orden in der Region gekelterte­n Süßweines Commandari­a.

Eine der Installati­onen während des Kulturjahr­es ist der runde „Tisch der Vereinigun­g“, hergestell­t aus Brettern von Behausunge­n, die nach 1974 von muslimisch­en Zyperntürk­en auf der einen und griechisch-orthodoxen Zyprioten auf der anderen Inselseite verlassen wurden. Er wird bei Events in Paphos aufgestell­t, mit Meze bestückt und verbleibt bis Ende des Jahres in der renovierte­n Karawanser­ei Ibrahims Khan.

Die im Jänner 2017 neu aufgenomme­nen Gespräche am realen Verhandlun­gstisch sind dagegen ins Stocken geraten. Ob das noch etwas wird mit der Wiedervere­inigung, vielleicht gar im Kulturjahr? Schön wär’s. Diese Reise erfolgte auf Einladung der Cyprus Tourism Organisati­on.

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Die von sechs zyprischen Künstlern gestaltete­n Installati­onen „Signs in Time and Space“gehören zu den wenigen nach außen sichtbaren Zeichen, dass Paphos 2017 Kulturhaup­tstadt ist.

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