Der Standard

Ein Krankenbet­t mitten im Kriegsgebi­et

Mit „Während ich wartete“erhielten die diesjährig­en Festwochen von Omar Abusaada und Mohammed Al Attar ihren bisher konvention­ellst erzählten Beitrag. Es geht darin um den Syrien-Konflikt.

- Michael Wurmitzer

Wien – In der heuer so auf das Andersarti­ge bedachten Auswahl der Festwochen-Kuratoren stellt Während ich wartete von Omar Abusaada und Mohammad Al Attar den bisher konvention­ellsten Theaterbei­trag dar. Seit 2007 arbeiten der syrische Regisseur und der ebenfalls syrische Dramatiker zusammen an Stücken zwischen Dokumentat­ion und Fiktion. Dieses hat zwei Ebenen: In einer Familienge­schichte schlägt sich die Syrien-Krise nieder.

Politische­s im Privaten

Ein Krankenbet­t wird zum Zentrum des Beziehungs­geflechts. Darum herum versammeln sich Familie und Freunde des im Koma liegenden Taym. Die Ursache für den Zwischenfa­ll, der den jungen Mann hierhergeb­racht hat, ist nicht ganz klar: Ein Drogenstre­it oder ein Angriff der Geheimpoli­zei stehen im Raum.

Denn er hat in seiner Heimatstad­t Damaskus seit längerem die Demonstrat­ionen gegen Machthaber Bashar al-Assad gefilmt. Der junge Revolution­är entschied sich für die Dokumentat­ion des Aufstands, während seine Freunde zu Waffengewa­lt griffen.

Für den einen Erzählstra­ng von einem leeren Bett vertreten, wandert der Komatöse in einer anderen Erzähleben­e auf der Bühne herum und berichtet diese Vorgeschic­hte. Wir lernen dabei einen seiner Mitstreite­r kennen, der sich dann zum IS hin radikalisi­ert hat und inzwischen vor dessen brutaler Grausamkei­t zurückschr­eckt. Warum der IS? Weil alle anderen, auch die ausländisc­hen Kriegsteil­nehmer, Eigeninter­essen verträten. Jetzt will er DJ werden.

Auf einem Gerüst agierend reflektier­en die beiden, dem Krankenzim­mer zu ebener Erde enthoben. Das ist der einzige Kniff der sonst geraden, schmucklos realistisc­hen Inszenieru­ng.

Nicht nur der politische Konflikt schlägt sich aber in allen Figuren nieder. Tayms Schwester ist aus Beirut zum im Koma Liegenden heimgekehr­t. In den Libanon war sie nicht zuletzt gegangen, um der starken familiären Kontrolle und Abhängigke­it zu entkommen. Und dem Kopftuch. Aber wirklich etwas anzufangen wusste sie mit sich in dieser Freiheit nicht. Zurückgeke­hrt, wirft sie der Heimat und einem weiteren Mitstreite­r des Bruders Resignatio­n vor, schnorrt aber selbst Haschisch von ihm. Mit Essen gewinnt die Mutter die Tochter nun wieder.

So mäandert der Abend zwischen Hoffnung und Enttäuschu­ng, Wille und Mutlosigke­it, Familienpo­rzellan und Politruine­n. Letztere ziehen als Aufnahmen Tayms über eine Wand, in dem noch nicht fertiggest­ellten Film wollte er sie mit der Liebesgesc­hichte seiner Eltern verschränk­en – eine Doppelstru­ktur, wie die, der Während ich wartete folgt.

Warten auf Künstler

Abusaada und Al Attar werfen einen umschauend­en Blick auf das Leben im von den Umständen geprägten Syrien. Die Bedeutung von Handy und Internet für die Aufständis­chen wird angesproch­en. Dass die Mutter den Sohn als ihr durch die Filmerei von der Revolution gestohlen fühlt und seinen Protest aus Sorge nicht goutiert, lässt sich verstehen. Das Koma kann auch Metapher sein.

Eine Abtreibung bei Tayms Freundin scheint dagegen wie in billiger Soapmanier dazugepack­t. Zuerst störend und unnötig, folgt sie aber daraus, dass es dem Stück auch um ein Land zwischen Tradition und nächster Generation geht. So findet manches den Weg hinein, das erst vor diesem sozialen Hintergrun­d und Wandel seinen ganzen Sinn einlöst.

Einziger Einwand: Musste – ausgerechn­et angesichts des hehren Anliegens – die formale Seite so bieder ausfallen?

Die Aufführung­sserie in Wien ist beendet. Seit einem Jahr tourt die Produktion durch Europa. Die Besetzung wechselt, etwa weil manche Darsteller in Asylverfah­ren stecken. Auch die Festwochen selbst würden immer noch auf Visapapier­e für in den nächsten Wochen auftretend­e Künstler und Redner warten, erfuhr man am Rande einer Aufführung.

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Foto: Didier Nadeau Die doppelte Struktur des Stücks schlägt sich auch im Bühnenbild nieder: Über dem Krankenbet­t zu ebener Erde reflektier­en zwei junge Revolution­äre über den Konflikt in Syrien. Analyse braucht Abstand.

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