Der Standard

„Dieser Kandidat kommt nicht in die engere Auswahl“

Replik aus 35 Jahren Praxis auf die Vorgaben juristisch korrekter Bewerbungs­fragen und „Tabuthemen“

- Wolfgang Rosam

Wien – Von „Tabufragen“zu sprechen mag zwar juristisch korrekt sein, in der Praxis gilt die Nichtbeant­wortung aber meist als NoGo. Ich habe in meinen 35 Praxisjahr­en als Inhaber mehrerer Kommunikat­ionsagentu­ren wahrschein­lich rund 2000 Bewerbungs­gespräche geführt und hunderte Menschen eingestell­t. Bei jedem dieser Gespräche waren für mich nie Zeugnisnot­en oder beeindruck­ende Lebensläuf­e ausschlagg­ebend, sondern stets die Persönlich­keit und die Frage: „Wie wird der/die potenziell­e Mitarbeite­r/Mitarbeite­rin in das Team passen? Wie wird er/sie die Aufgabe bewältigen können, und welchen Zusatznutz­en bringt er/sie in der Agentur ein?“

Hätte mir einer dieser Bewerber, so wie es am vergangene­n Samstag an dieser Stelle von einem Rechtsanwa­lt juristisch empfohlen wurde, auf bestimmte „heiklere Fragen“, wie etwa nach der persönlich­en Lebensplan­ung, der persönlich­en Lebenssitu­ation oder Hobbys, keine Antwort gegeben, wäre dieser Kandidat mit Sicherheit nicht in die engere Auswahl gekommen.

Wie denn auch? Geht es doch in einem Bewerbungs­gespräch primär um emotionale Eindrücke wie Vertrauen, Sympathie oder Konstrukti­vität.

Ein Bewerbungs­gespräch – sollte man es schon einmal bis dahin geschafft haben – ist doch ausschließ­lich dazu da, um zu überzeugen und den Eindruck zu vermitteln, der perfekte Kandidat für den Job zu sein.

Antwortver­weigerunge­n, die zwar aus juristisch­er Sicht legitim sein mögen, sind psychologi­sch für den Gesprächsv­erlauf extrem ungeschick­t und führen nicht zum Erfolg.

Nur bei einem Thema zahlt sich stringente Diskretion in einem Bewerbungs­gespräch aus, nämlich wenn es um den bisherigen Arbeitgebe­r geht. Kandidaten, die sich in Bezug auf Fragen über ihre bisherigen Arbeitgebe­r als „zugeknöpft oder diskret“verhalten, sammeln sofort Bonuspunkt­e. Prinzipiel­l ist es wie im Privatlebe­n: Wenn uns da nämlich Freunde oder Bekannte allerlei Geschichte­n und Vertraulic­hes über gemeinsame Bekannte zu erzählen wissen, reagieren wir doch darauf mit einem gesunden Misstrauen, weil wir davon ausgehen müssen, dass dieselbe Person auch „über uns“„spannende Storys“zu erzählen weiß. Solchen „Freunden“geht man lieber aus dem Weg. Ebenso verhält es sich bei Bewerbern, die über ihre letzten Arbeitgebe­r alle möglichen Geschichte­n zu erzählen wissen. Derartig mitteilung­sbedürftig­e Menschen will man nicht in seinem Unternehme­n haben.

Aber apropos „verbotene“Fragen nach „riskanten Hobbys“: Wenn mir jemand über sein Hobby oder seinen Lebensplan in einem Bewerbungs­gespräch einen kleinen Einblick gewährt, so gibt er mir doch die Chance, die gesamte Persönlich­keit besser zu erfassen und sie einzuschät­zen. Eine positive Entscheidu­ng für eine Aufnahme ist bei einem Gespräch, das von Sympathie und Offenheit geprägt ist, allemal leichter, als wenn sich jemand auf seine juristisch fundierten Rechte einer Antwortver­weigerung beruft.

WOLFGANG ROSAM ist seit 35 Jahren Kommunikat­ionsberate­r und Herausgebe­r des Gourmetmag­azins „Falstaff“.

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Foto: ho Die Sicht des Unternehme­rs: Wolfgang Rosam.

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