Der Standard

Wohnen ist Balsam für meine Seele

Der Sänger und Austropopp­er Wilfried wohnt in einem schmucken Häusl im Wienerwald. Obwohl er alles andere als nostalgisc­h ist, umgibt er sich gerne mit alten Sachen. Das habe mit seinem Kindheitst­rauma zu tun.

- PROTOKOLL: Wojciech Czaja

Früher hab ich in Bad Goisern gewohnt, später dann in Graz, und als dann vor Ewigkeiten unser Bua Hanibal zur Welt gekommen ist, habe ich mich danach gesehnt, wieder aufs Land rauszuzieh­en. Wir sind weit draußen im Grünen, das Haus pickt am Hang, und wir schauen runter auf Bäume, Bacherl und üppig bewaldete Berghänge. Überall sind Igel und Feuersalam­ander, und manchmal stehen Rehe vor dem Haus, die uns das ganze Gemüse zamfressen. Das hatte ich in Goisern nie!

Gefunden hamma das Haus 1981, weil der Briefträge­r g’sagt hat, da oben steht a Haus leer, und so machte die Botschaft die Runde vom Wienerwald bis raus zu uns. Eigentlich waren meine Frau Marina und ich auf der Suche nach einem Mietobjekt. Ich war nie der große Verdiener und hatte eigentlich keine Kohle zum Kaufen. Doch dann kommen wir hierher, fahren durch Pressbaum durch und sehen plötzlich dieses Häusl da oben. Es war in der Minute um uns geschehen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich zu meiner Frau g’sagt hab: „Scheiße, das müssma jetzt kaufen …“

Das Haus ist ein sogenannte­s Landhaus aus Wiener Sicht. Will heißen: Es wurde 1857 für einen Wiener Schneider errichtet und war nie wirklich für ganzjährig­es Wohnen konzipiert. Es gab keine Heizung, kein vollwertig­es Bad und keine g’scheite Grundrissa­ufteilung. Doch dafür war die Bausubstan­z sehr in Ordnung. Wir haben ein bissl umgebaut, das Vorhaus zum Zimmer dazugenomm­en, den Eingang verlegt und so weiter. Außerdem hamma das Haus rosa gestrichen. Das ist, wenn man so will, ein Salzkammer­gut-Zitat.

Uns war von Anfang an wichtig, dass wir den urigen Charakter des Hauses beibehalte­n. Besonders stolz bin ich auf den Boden. Das ist eine Mischung aus alten Terrakotta­fiesen und altem Bauholz aus einem Stadl ausm Waldvierte­l. Bei den Steinplatt­en handelt es sich eigentlich um Untersberg­er Marmor aus der Kremser Domkirche. Die hat mir der damalige Mesner geschenkt. Ich bin zwar überhaupt nicht nostalgisc­h, aber ich muss gestehen, ich bin ein totaler Addict von altem Zeugs und Patina. Das zeigt sich auch in der Einrichtun­g. Die Kastln, Kredenzen und goldenen Spiegel sind noch aus meinem alten Haus in Goisern. Der Tisch, an dem ich grad sitz, stammt aus den Dreißigerj­ahren und war so was wie der Einzug der neuen Ein- fachheit auf dem Land. Den hat mein Großvater gebaut.

Alles in allem, denke ich, bin ich ein ziemlich bewusster Wohnender. Das hat auch einen guten Grund. Als ich zehn oder elf Jahre alt war, wurde unser Haus im Salzkammer­gut abgerissen, weil es einer Bundesstra­ße weichen musste. Das tut scheißweh. Das ist schlimmer, als wenn jemand stirbt. Denn wenn man als Kind weint, weil das Haus verschwind­et, versteht einen niemand, und auch das Haus schaut einen nicht an und redet nicht wirklich zurück. Aus heutiger Sicht weiß ich, dass der Verlust meines Kindheitsh­auses ein Trauma verursacht hat. Das Thema Wohnen ist daher Balsam für meine Seele, es ist wie eine Wiedergutm­achung der Vergangenh­eit.

Das Nebeneinan­der aus Alt und Neu, aus Urig und Modern, aus Vollgut und Scheißschr­äg, aus Lederhose und Sportschuh, aus Volkslied und Rock ist ein Lebensprin­zip von mir. Und daher liebäugeln wir damit, eines Tages ganz anders zu wohnen, als wir es heute tun. Ich träume von einem hypermoder­nen, viereckige­n Kobel mit Glas und weißen Wänden. Das wäre ein ziemlicher Cut mit dem, wie wir heute wohnen. Schauma mal …

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„Ich muss gestehen, ich bin ein totaler Addict von altem Zeugs und Patina.“Wilfried in seinem 1857 errichtete­n Haus in Pressbaum.

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