Der Standard

Ein erstes Sandkorn in Macrons Getriebe

Finanzaffä­re des Wohnbaumin­isters wird zur Belastung für französisc­hes Kabinett

- Stefan Brändle aus Paris

Wenn einer Emmanuel Macron zum Durchbruch verhalf, dann war es Richard Ferrand: Der 54-jährige Bretone war als erster sozialisti­scher Abgeordnet­er zum einstigen Wirtschaft­sminister übergelauf­en und hatte damit eine parteiüber­greifende Dynamik zugunsten des später gewählten Kandidaten losgetrete­n. Zur Belohnung wurde er nach der Wahl „Minister für die territoria­le Kohäsion“, was Wohnbau, Städte- und Raumplanun­g einschließ­t.

Nach anderhalb Wochen im Amt wird er nun zu einer Hypothek. Ferrand soll bei einem Immobilien­geschäft in Brest seine Ehefrau begünstigt haben. Wie das Magazin Le Canard enchaîné berichtet, mieteten die Mutuelles de Bretagne (Zusatzkran­kenversich­erung) 2011 unter Ferrands Direktion ein Lokal, das seiner eigenen Partnerin gehörte. Sie soll daran durch Renovierun­gsarbeiten und die Wertsteige­rung 500.000 Euro verdient haben. Vor drei Jahren beschäftig­te Ferrand außerdem seinen damals 23-jährigen Sohn während einiger Monate für insgesamt 6800 Euro als Parlaments­assistent.

Diese Details erinnern die französisc­he Öffentlich­keit natürlich an „Penelope-Gate“des konservati­ven Ex-Präsidents­chaftskand­idaten François Fillon. Er war in den Umfragen vor Macron gelegen, bevor ihm die Anstellung von Familienan­gehörigen zum Verhängnis wurde. Wie bei ihm stellt sich die Frage, ob Ferrands Sohn wirklich gearbeitet hat; sonst läge der Tatbestand der Veruntreuu­ng öffentlich­er Gelder vor.

Die „Affäre Ferrand“, wie sich die Pariser Medien ausdrücken, durchkreuz­t Macrons sehr profession­nelle Kommunikat­ion. Gerade wegen des Fillon-Skandals will Macron am 7. Juni – vier Tage vor den Parlaments­wahlen – ein „Moralisier­ungsgesetz“vorlegen, das unter anderem die Beschäftig­ung von Familienmi­tgliedern im Parlament untersagt und Interessen­konflikten vorbeugt.

Macrons Sprecher Christophe Castaner behauptet, Ferrand habe „nichts Illegales“getan. Das hatte auch Fillon erklärt, bevor gegen ihn wegen der Scheinbesc­häftigung seiner Frau ein Strafverfa­hren eröffnet wurde. Gegen Ferrand plant die Finanzstaa­tsanwaltsc­haft, wie sie auffallend rasch erklärt hat, keine Vorermittl­ung.

Wenige Bretonen können lesen

Front-National-Präsidenti­n Marine Le Pen verlangt den Rücktritt des Ministers. Der lehnt das mit dem Hinweis ab, es handle sich um eine „Pseudo-Affäre“. Die Beschäftig­ung des Filius erklärte der Minister ungeschick­t damit, dass man in der Bretagne nicht so leicht Jugendlich­e finde, die „korrekt lesen und schreiben können“.

Für Macron, der sich auf dem Nato- und G7-Gipfel im internatio- nalen Rampenlich­t gesonnt hat, ist die Affäre mehr als peinlich. An sich hat er nur die Wahl zwischen zwei schlechten Lösungen. Lässt er Ferrand fallen, überschatt­et dies seinen Amtsbeginn. Hält er an seinem treuen Weggefährt­en fest, schwächt er die Wirkkraft seines Moralisier­ungsgesetz­es.

Auch wenn die Ferrand-Affäre bisher nicht das gleiche Echo auslöst wie das „Penelope-Gate“, ist sie auch Negativwer­bung für Macrons Partei La République en Marche (LRM). Sie steuerte gerade auf einen Sieg bei den Parlaments­wahlen zu: Laut mehreren Umfragen kann die neue Formation im ersten Wahlgang mit 28 bis 32 Prozent der Stimmen rechnen. In der Stichwahl könnte sie damit rund 320 der 577 Sitze der Nationalve­rsammlung erringen – das wäre eine absolute Mehrheit.

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Foto: AP / Eric Feferberg Weggefährt­e Richard Ferrand wird für Macron zur Hypothek.

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