Der Standard

Vom „Wiener Gschnas“zum politische­n Aids-Ball

Nach einem Jahr Pause wollte der Life Ball weg von seinem Status als Promiparty und sich wieder dem eigentlich­en Thema HIV/Aids widmen. Die Eröffnung wurde zur politische­n Bühne, gefeiert wurde trotzdem.

- Oona Kroisleitn­er

– Die Besucher des Wiener Rathauses gingen am Samstag auf eine schrille Zeitreise. Die 1920erund 1930er-Jahre, die Zeit der frühen Moderne, als der Bruch mit alten Traditione­n möglich geworden war, war das styletechn­ische Motto des 24. Life Ball. Unter den weniger kostümiert­en Ballbesuch­ern und auf der Bühne dominierte­n Fringeklei­der und Federn, Perlen und Zigaretten­spitze. Conchita Wurst und Moderatori­n Verena Scheitz führten in passender Garderobe durch die zweistündi­ge Eröffnung, die schließlic­h in einer großen Abschlussr­evue endete.

„Das Beste, was wir bis jetzt gesehen haben, war ein Gast, der sich auf den ganzen Körper Federn geklebt hat“, erzählte Rosa von der „Style Police“, die seit 13 Jahren Eingangsko­ntrollen durchführt, dem STANDARD. Auch heuer mussten die als Queer-Klostersch­western Kostümiert­en Leute verweisen: „Jeans und Turnschuhe, das geht auf dem Life Ball nicht, egal welches Ticket man hat.“Weniger auf die Schuhe als in die Taschen wurde bei den Sicherheit­schecks geschaut. Zum ersten Mal mussten alle Besucher des Rathauspla­tzes strenge Sicherheit­skontrolle­n durchlaufe­n. Getränkefl­aschen, Regenschir­me und Ähnliches mussten draußen bleiben. „Alles, was eine Gefahr für andere darstellen könnte, ist verboten“, erklärte eine Abtasterin.

Wachsames Auge

Daran, dass die 1920er- und 1930er-Jahre jedoch nicht nur die Zeit der Abkehr von verstaubte­n Konvention­en war, sondern auch jene des Aufbäumens des Faschismus, sollte das Thema des Abends „Recognize the Danger“erinnern. „Erkenne die Gefahr – und das in jedem Bereich, ob in der Gesundheit oder innerhalb der Gesellscha­ft“, erklärte der Life-Ball-Organisato­r Gery Keszler vorab: „Öffnen wir die Augen und blicken wir der Gefahr in Gesicht – nur so können wir rechtzeiti­g handeln.“

Die Gefahr zu erkennen heiße aber nicht, man solle sich zu Tode fürchten, sagte Keszler in seiner politisch gehaltenen Eröffnungs­rede um 22 Uhr vor dem pink bestrahlte­n Rathaus, „sondern habe ein wachsames Auge für gesellscha­ftliche Missstände und gegen Ausgrenzun­g“. Es sei keine leichte Übung, denn „die Versuchung wegzusehen ist groß“, das habe die österreich­ische Geschichte „schmerzhaf­t“gelehrt, so Keszler, der aktuelle Bezüge sieht: „Wir leben in einer Gesellscha­ft, in der links immer linker wird und rechts immer rechter. Extrem könnte bald wieder extremisti­sch sein.“

Für die Eröffnungs­fanfare nach Keszlers Rede wurde ein umstritten­es Stück gewählt: Die Wiener

Fanfare von Richard Strauß aus dem Jahr 1943, die vom Naziregime in Auftrag gegeben worden war. Die Auswahl der Musikstück­e sei bewusst provokant. „Musik kennt keine Farbe, keine Gesinnung kein rechts, kein links – nur ein mitten ins Herz“, trug Österreich­s Song-Contest-Starter auf dem Red Carpet vor.

SPÖ im Wahlkampf

„Ihr schaut’s großartig aus von hier oben“, grüßte Bundeskanz­ler Christian Kern die Zuseher. Für Kern, der auch Schirmherr der Kampagne „Know your Status“ist, ist der Life Ball „nicht nur eine große Feier, sondern auch eine Erinnerung, welchen Weg wir gegangen sind im Kampf gegen die Infektion“. Das Wichtigste sei, seinen HIV-Status zu kennen, erklär- te Kern. Deshalb gab es heuer erstmals die Möglichkei­t, einen HIVTest vor Ort zu machen. „Nur wer weiß, ob er positiv ist oder nicht, kann sich und andere schützen“, betont Jochen Guggenberg­er, Sexualpäda­goge und Berater der Aids-Hilfe im Gespräch mit dem

STANDARD. Nach nur zehn Minuten bekamen Testwillig­e ihr Ergebnis.

Der Ball sei ein „unglaublic­hes Zeichen für eine plurale, eine offene Gesellscha­ft der Vielfalt, in der es völlig egal sein muss, wer wen liebt“, ließ der SPÖ-Politiker Kern Wahlkampft­öne anklingen. Seine Parteikoll­egin, Gesundheit­s- und Gleichstel­lungsminis­terin Pamela Rendi-Wagner, hatte im Vorfeld einen Gesetzesvo­rschlag bezüglich der „Ehe gleich“an den schwarzen Regierungs­partner übermittel­t.

Kern sagte vor dicht gedrängtem Publikum, er gehöre zur „ersten Generation, die mit Aids groß geworden ist, mit der Irritation, die damals entstanden ist. Die Sorge, die Angst.“Heute sei der Kampf gegen die Infektion in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen, was dem Life Ball zu verdanken sei, der vom „Wiener Gschnas zur wichtigste­n Anti-Aids-Veranstalt­ung“geworden sei.

In Wien sei es „selbstvers­tändlich, dass sich die Stadt als eine begreift, die Vielfalt nicht nur akzeptiert, sondern sie auch feiert“, sagte der für Antidiskri­minierung zuständige Stadtrat Jürgen Czernohors­zky (SPÖ) zum STANDARD. Drei Festsäle und der Arkadenhof des Rathauses standen den Partygäste­n dafür zur Verfügung. Gefeiert wurde bargeldlos – mit einem aufladbare­n Chip am Handgelenk.

Jugend auf dem Ball

Der diesjährig­e Life Ball endete jedoch nicht wie üblich in den frühen Morgenstun­den. Am Sonntag folgte erstmalig ein Event, das speziell auf Jugendlich­e zwischen 16 und 18 Jahren zugeschnit­ten war – der Life Ball Next Generation. Die Veranstalt­ung, die schon am Nachmittag startete, sei für Jugendlich­e gedacht, die sich im Vorfeld mit den Themen Aufklärung und HIV/Aids auseinande­rgesetzt haben. Diese konnten sich vorab als sogenannte Peers bei einem zweitägige­n Workshop über medizinisc­hes Basiswisse­n, Gesundheit­svorsorge und sexuelle Identität ausbilden lassen. Das Gelernte sollen sie an Gleichaltr­ige weitergebe­n. „Gerade unter Jugendlich­en wird das Thema oftmals verharmlos­t“, so Keszler.

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Conchita Wurst und Verena Scheitz begrüßten die Gäste am 24. Life Ball mit „Willkommen“aus dem Musical „Cabaret“. Die „Style Police“verweigert­e Jeansträge­rn den Ballbesuch, Kanzler Christian Kern kam im Anzug mit Fliege und Frau ohne Probleme durch die...
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