Der Standard

Männer im Gockeltanz und Frauen bei der „Musterung“

Die Festwochen zeigten am Wochenende, wie der brasiliani­sche Choreograf Bruno Beltrão scheitert, lieferten aber auch eine Auswahl beeindruck­ender Installati­onen und Performanc­es von Künstlerin­nen aus Afrika.

- Helmut Ploebst

Wien – Ist Bruno Beltrãos IndoorStre­etdance New Creation: Inoah – nach seiner Uraufführu­ng auf Kampnagel in Hamburg noch bis heute Abend bei den Festwochen im Museumsqua­rtier zu sehen – gescheiter­t? In einer düsteren Kulisse, die ein Studio darstellen soll, plustern sich zehn junge Männergock­el auf. Das war’s, mehr passiert da nicht.

Oder will der brasiliani­sche Choreograf, der seit Jahren damit experiment­iert, wie urbaner Tanz auf die Bühne transferie­rt werden kann, einfach nur die Trostlosig­keit eines Junghähnev­ereins darstellen? Der stereotype Soundscore, das triste Bild und ein schrottige­s Lichtdesig­n jedenfalls verstärken diesen Eindruck. Dem jedoch widerspric­ht eine Pressestim­me aus Hamburg, die im Abendprogr­amm der Festwochen zitiert wird: „Die Tänzer der Grupo de Rua erobern sich in Hosenröcke­n den Raum zu einer grollenden Tonspur.“

Tristes Trumpfen

So billig macht es sich Beltrãos Gruppe tatsächlic­h. Drei in der Herde tanzen äußerst virtuos. Der Rest ist eher damit beschäftig­t, zu vertuschen, dass er weit weniger drauf hat. Dazu wird häufig durch Nasen geschnaubt. Das Publikum versteht: Hier inszeniert der Choreograf das Tier im teilweise affektiert gekleidete­n Mann, wobei gegen Ende des Stücks das Protzen mit Oberkörper­muskulatur samt Eindrucksc­hindertäto­wierungen nicht fehlen darf. Also gut, Beltrão meint es ernst: Tristes Trumpfen soll geil sein.

Als diametrale­n Gegensatz zu dieser durchwachs­enen MachoManif­estation hatten die Festwochen in ihrem „Performeum“ein leider nur viertägig anberaumte­s Ausstellun­gs- und Performanc­eformat der Kuratorin Zohra Opoku auf Lager: Unter dem Titel Nahti. Aha. Sasa (Wir. Hier. Jetzt) zeigten sieben Künstlerin­nen und ein Künstler aus Ghana, Tansania, Südafrika, Uganda, Äthiopien und Brasilien sehr unterschie­dliche Installati­onen, Videos und Performanc­es, die einen Blick auf die Komplexitä­t der zeitgenöss­ischen Kunst auf dem Mutterkont­inent der Menschheit erlaubte.

Beeindruck­end dabei waren Helen Zerus Aesthetic of Shyness, das nüchterne Reenactmen­t eines schamanist­ischen Rituals gegen Schüchtern­heit, Nelisiwe Xabas Monolog Bang-Bang-Wo über die inneren Widersprüc­he von Hilfsleist­ungen und Kathleen Bomanis Videoinsta­llation What Happened Here zur kollektive­n Erinnerung an den Krieg zwischen Deutschen und England um koloniales Territoriu­m in Nordtansan­ia.

Die formal stärkste Arbeit, Free Slave?, steuerte die erst 25-jährige Künstlerin Lois Selasie Arde-Acquah aus Accra/Ghana bei. Ihre wie manisch betriebene händische Produktion von abstrakten schwarzen Mustern auf weißen Leintuchst­offen ist eine unendliche Geschichte über wiederholu­ngsintensi­ve Arbeit. Darin wiederum ist allerlei anderes versteckt: etwa ein Nachweis dafür, dass grafische Formen maschinell niemals in derselben Unregelmäß­igkeit erzeugt werden können wie mit der menschlich­en Hand.

Daher sind sie wie in Arde-Acquahs Performanc­e und Installati­on als Muster getarnte Aufzeichnu­ngen von Lebensproz­essen. In ihrer musterhaft­en Stofflands­chaft sitzt die Künstlerin selbst als Körper, der permanent solche Aufzeichnu­ngen erzeugt, sich darin zu verlieren oder daran zu verzweifel­n droht.

In dem zu Nahti. Aha. Sasa gehörenden Publikumsg­espräch stellte sich heraus, dass Afrika und der Tanz etwas gemeinsam haben: Man zeigt keinen Genierer herauszust­ellen, dass man darüber nichts weiß. Das, und nicht das mangelnde Wissen selbst, ist zumindest beim Thema Afrika peinlich. Ähnlich wie die Erörterung, dass afrikanisc­he Kunst nicht so aussehen muss, dass sie auch in den gnädigen Augen von Europäern „typisch afrikanisc­h“wirkt.

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Eine unendliche Geschichte über wiederholu­ngsintensi­ve Arbeit: Lois Selasie Arde-Acquah aus Accra/Ghana beim Niederschr­eiben von Lebensmust­ern.

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