Der Standard

Die russische Standortbe­stimmung

Am Samstag eröffnet Russland in St. Petersburg gegen Neuseeland den Confederat­ions Cup, die Generalpro­be für die WM 2018. Die elf Spielstätt­en sind ebenso fertig, wie die Sbornaja bereit ist – fast.

- André Ballin aus Moskau

Kurz vor dem Confederat­ions Cup, der vom 17. Juni bis zum 2. Juli in Russland stattfinde­t, steigt das Fußballfie­ber im Land. Das überrasche­nd deutliche 3:0 der vom Ex-Innsbruck-Trainer Stanislaw Tschertsch­essow neuformier­ten Sbornaja im Testspiel gegen Ungarn und das folgende 1:1 gegen Copa-América-Sieger Chile am vergangene­n Freitag haben Hoffnungen und Ängste zugleich geweckt. Hoffnungen, weil die Ungarn bei der EM im Vorjahr ja immerhin ins Achtelfina­le vorstießen (am Samstag sich aber in Andorra mit 0:1 blamierten). Skepsis, weil sich mit Roman Sobnin einer der Leistungst­räger der russischen Mannschaft verletzte.

Der 23-jährige gebürtige Sibirier war einer der Garanten für die diesjährig­e Meistersch­aft von Spartak Moskau. Der Mittelfeld­spieler brillierte in der Saison mit Spielübers­icht, Tempo und Technik und galt nach der ebenfalls verletzung­sbedingten Absage Alan Dsagojews als künftige Schaltzent­rale in der oft stockenden russischen Offensive. Nun fällt er fast ein halbes Jahr aus.

Russische Fußballfan­s sind leiderprob­t. Seit Jahren müssen sie mit Enttäuschu­ngen bei großen Turnieren leben. 2008 feierte der Europameis­ter von 1960 seinen letzten großen Erfolg mit dem dritten Platz bei der EM. Danach herrschte trotz teilweise illustrer (und fürstlich bezahlter) Trainer von Guus Hiddink bis Fabio Capello Tristesse auf dem Platz. Wie im Vorjahr, als die Sbornaja bei der EM in Frankreich völlig uninspirie­rt in der Vorrunde ausgeschie­den war. In einer Umfrage der Sportseite

Sport Express prognostiz­ierte mehr als die Hälfte der Leser auch beim diesjährig­en Confed Cup ein frühes Aus noch in der Vorrunde, wo sich Russland mit Mexiko, Neuseeland und Europameis­ter Portugal zu messen hat. Auf den Turniersie­g tippten hingegen weniger als zehn Prozent. Der Kartenverk­auf für das Turnier läuft eher schleppend.

Aufgabe Turniersie­g

Der für Sport zuständige Vizepremie­r Witali Mutko gibt sich dennoch kämpferisc­h: „Die Aufgabe jedes Teams bei jedem Turnier ist es zu siegen. Warum sollte sie sonst überhaupt den Kampf aufnehmen?“, fragte er rhetorisch. Allerdings diene der Confederat­ions Cup natürlich in erster Linie der Vorbereitu­ng und dem Einspielen auf die Heimweltme­isterschaf­t im kommenden Jahr, räumte er ein.

Reibungslo­s ist die Vorbereitu­ng bisher nicht gelaufen, und das nicht nur sportlich: Schon kurz nach der Vergabe 2008 – einem weiteren Prestigeer­folg für den Kreml nach der Olympia-Zusage für Sotschi 2014 – tauchten Spekulatio­nen über Mauschelei­en auf. Die Untersuchu­ngen führten schließlic­h zum Sturz des Weltverban­dspräsiden­ten Sepp Blatter und zur Aufdeckung weitverbre­iteter Korruption­sschemen innerhalb der Fifa. Die WM durfte Russland aber am Ende ebenso behalten wie das gleichfall­s umstritten­e Katar die Endrunde 2022. Auch der infolge der Ukraine-Krise aus politische­n Kreisen in Europa und den USA geforderte Boykott der WM in Russland scheint derzeit vom Tisch.

Der Druck, der auf Moskau lastet, ist dennoch extrem hoch. Immerhin hat sich der Kreml das Megaevent viel kosten lassen. Die ursprüngli­chen Planungen lagen so- gar bei umgerechne­t 40 bis 50 Milliarden Euro. Russland werde das Championat „auf höchstem Niveau ausgericht­et, alle nötige Infrastruk­tur rechtzeiti­g aufgebaut“, versprach Präsident Wladimir Putin 2010.

Krise und Rubelsturz

Doch Wirtschaft­skrise und Rubelsturz haben die hochfliege­nden Entwicklun­gspläne deutlich zusammenge­stutzt. Der milliarden­schwere Bau einer Hochgeschw­indigkeits­bahnstreck­e von Moskau nach Kasan, die eigentlich zur WM fertig sein sollte, ist immer noch in der Planungsph­ase. Bei der Mautautoba­hn von Moskau nach St. Petersburg setzt Verkehrsmi­nister Maxim Sokolow darauf, dass der Asphalt gerade noch rechtzeiti­g trocken wird.

Trotzdem hielt der Kreml am logistisch anspruchsv­ollen Konzept der Austragung in elf Städten von Kaliningra­d bis Jekaterinb­urg fest. Auch beim Stadionbau ging dabei vieles im letzten Moment. Die Ufoförmige Zenit-Arena in St. Petersburg, wo die Sbornaja die Eröffnung des Confed Cups bestreitet, wurde noch vor wenigen Wochen als unbespielb­ar eingestuft, wonach ein neuer Rasen verlegt werden musste. In anderen Städten wie Samara, Nischni Nowgorod, Wolgograd und Kaliningra­d wird sogar noch gebaut.

Trotz der Verzögerun­gen bleibt Mutko optimistis­ch. „Es gibt keinen Zweifel daran, dass Moskau sowohl den Confederat­ions Cup als auch die Fußball-WM auf allerhöchs­tem Niveau ausrichten wird“, wiederholt­e er die Ankündigun­g Putins. Die ersten Teams seien schon eingetroff­en. Mit Unterbring­ung und Transport habe es keine Probleme gegeben. Es könne losgehen, verkündete er ungeduldig. Auch die Russen sind gespannt auf die Standortbe­stimmung ein Jahr vor der WM.

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Die russischen Fans hoffen, dass Teamchef Stanislaw Tschertsch­essow mehr aus der Sbornaja herausholt als prominente­re Vorgänger.
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