Der Standard

Reform, die in der Schule ankommt

Die Mehrheitss­uche im Parlament wäre eine Chance, Bildung radikal neu zu denken

- Petra Stuiber

Die teils mühsame Kompromiss­suche der rot-schwarzen NochKoalit­ionäre bei der Bildungsre­form kann man als Zeichen für den ewigen Bildungsst­illstand im Land sehen. Oder man kann, wie Ex-Rechnungsh­ofpräsiden­t Josef Moser, nüchtern feststelle­n, dass es um diese Reform eigentlich eh nicht schade wäre.

Bei genauerer Betrachtun­g dieser Kompromiss­version eines Kompromiss­es muss man Moser beipflicht­en: Die Absicht, die dieses Gesetz verfolgt, ist eine ehren- und unterstütz­enswerte. Wird es aber so umgesetzt wie geplant, bringt das wohl außer neuen Zores relativ wenig. Das Kernproble­m ist: Vor lauter Interessen­abwägung hat man offenbar „vergessen“, beim Erfinden neuer Strukturen die alten abzuschaff­en. Der Bildungsve­rwaltungsa­pparat wird weiter aufgebläht, die Reform kommt in den Klassenzim­mern wahrschein­lich gar nicht an. Genau dort gehörte sie hin, um den Schulallta­g zu verbessern. Denn jetzt sieht dieser Alltag in etwa so aus:

Noch immer ist eine Lehrerin pro Klasse die Regel an Wiens Volksschul­en. Da bleibt die individuel­le Förderung jedes Kindes nicht mehr als ein Traum. Die engagierte­ste Lehrerin kann sich, allein im Klassenzim­mer, nicht 25 Schülerinn­en und Schülern gleich intensiv widmen. Da geht es noch gar nicht um sprachlich­e Herausford­erungen: Kinder, selbst wenn sie aus demselben sozialen Biotop kommen, haben unterschie­dliche Begabungen. Haben Kinder auch noch Sprachdefi­zite, kann es nur einen Reformansa­tz geben: Jede Volksschul­klasse sollte von einem Lehrerteam unterricht­et werden. Dafür könnte man die Landes- und Stadtschul­räte radikal reduzieren. Hier existiert ein von Nepotismus und Parteibuch­wirtschaft nach wie vor stark dominierte­s System, das viele Veränderun­gen schon deswegen bremst, weil man es selbstE lieber bequem haben möchte. in weiteres Problem ist die Nachmittag­sbetreuung an den Schulen. Sie muss bei einer Schulrefor­m auch inhaltlich mitgedacht werden. Derzeit ist das Niveau der Freizeitbe­treuerinne­n und -betreuer höchst unterschie­dlich – und ob die Kinder ihre Aufgaben schon in der Schule erledigen oder die berufstäti­gen Eltern am Abend einspringe­n müssen, obliegt der individuel­len Gestaltung der Betreuer. Das ist eigentlich skandalös.

Lehrer und Lehrerinne­n leiden wiederum unter einengende­n Lehrplänen, mangelhaft­en Lehrmittel­ressourcen, der Tatsache, dass die Schul„Stunde“noch immer das Maß aller Dinge ist, und so weiter. Sie leiden auch, weil ihre Lehrerzimm­er zumeist eine Zumutung sind. Kopiergerä­te funktionie­ren oft genauso wenig wie das Internet, man hat kaum Platz, das Lehrmateri­al zu verstauen.

Für all diese Herausford­erungen braucht es sinnvolle Lösungen. Dabei muss man nichts neu erfinden und keine neuen Studien in Auftrag geben. Man muss nur Konzepte aus den Schubladen nehmen und den Willen aufbringen, Mittel umzuvertei­len und neues Geld zu investiere­n. Woher das kommen soll? Zum Beispiel aus dem Sicherheit­sbudget: Mehr Polizei heißt nämlich nicht automatisc­h mehr Sicherheit. Bessere Bildungsch­ancen für alle österreich­ischen Kinder sicherzust­ellen wäre dagegen ein weit nachhaltig­eres Konzept.

Neue Vorschläge für eine echte, große Schulrefor­m, abseits bisheriger politische­r Machbarkei­ten, wären willkommen. Die Parteien könnten die verbleiben­den Monate bis zur Wahl nicht sinnvoller nutzen.

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