Der Standard

Österreich für weltweite Hasspostin­gs zuständig

Das Internet kennt keine nationalen Grenzen. Wer im Ausland hetzt, kann auch in Österreich angezeigt werden. Manche Strafrecht­ler befürchten eine „Schwemme“an Verfahren. Viele Hasspostin­gs sind aber vom Recht auf Meinungsfr­eiheit gedeckt.

- Maria Sterkl

Wien – Wer einen anderen in einem öffentlich­en Onlineforu­m grob beleidigt, ihm vielleicht sogar kriminelle­s Verhalten unterstell­t, der macht sich strafbar – ein klarer Fall. Was aber, wenn man eine ganze Gruppe von Menschen beleidigt, sich negativ über Frauen, Migranten, Homosexuel­le äußert? Hier ist die Lage schon weniger eindeutig. Zugleich ist das Bedürfnis, solche Fälle geahndet zu wissen, angesichts der Fülle an Hasspostin­gs im Internet größer denn je.

Dass Hetze im Netz meist keine rechtliche­n Folgen hat, hat mehrere Gründe. Der wichtigste: Nie- mand bringt sie zur Anzeige. Zwar ist die Polizei verpflicht­et, auch ohne Anzeige tätig zu werden, wenn sie von einem Hasspostin­g erfährt und den Verdacht hat, dass es sich um einen Fall von Verhetzung handeln könnte. Aber die Zeit, die erforderli­ch wäre, um gezielt Hasspostin­gs nachzustöb­ern und alle Fälle aufzuarbei­ten, hat niemand. Und Betroffene oder andere Aufmerksam­e bringen Postings oft nicht zur Anzeige, da sie sich wenig davon erhoffen.

Selbst in Fällen, die wegen des Verdachts auf Verhetzung angezeigt werden, ist die Lage uneindeuti­g. Laut Gesetz darf man Menschen nicht wegen ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Ausrichtun­g oder anderer Gruppenzug­ehörigkeit­en in der Öffentlich­keit verächtlic­h machen. Aber nicht alles, was herabwürdi­gend ist, ist auch Verhetzung im Sinne des Paragrafen. Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) legt das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung relativ weit aus, um den Staaten enge Grenzen für Einschränk­ungen der Redefreihe­it zu setzen. Diese Vorgaben sind dann auch von allen österreich­ischen Gerichten zu beachten.

So ist es laut geltender Rechtsprec­hung beispielsw­eise noch keine Verhetzung zu sagen, Ausländer seien „zu faul zum Arbeiten“, sagte Franz Plöchl, Leiter der Generalpro­kuratur, bei einer Rechtstagu­ng am Montag in Wien. Die Beleidigun­g betrifft nämlich nur einen Teilbereic­h des Lebens, eben die Arbeit. Würde man Migranten jedoch pauschal das Lebensrech­t absprechen oder sie auf andere Weise „im unverzicht­baren Kernbereic­h der Persönlich­keit treffen“, wäre es sehr wohl tatbestand­smäßig, sagt Plöchl. „Sofort erschießen, das Gesindel“war diesbezügl­ich ein eher unstrittig­er Fall. Für alle Beispiele gilt jedoch, dass sie nur dann strafbar sind, wenn sie vor einem größeren Kreis an Menschen gemacht werden – was auch im Fall von Onlinehetz­e nicht immer der Fall ist.

Shoah-Leugnung im Ausland

Was aber, wenn etwa ein österreich­ischer User im Internet auf ein Posting stößt, in dem der Holocaust geleugnet wird – und dann feststellt, dass der Kommentar, wiewohl verbotsges­etzwidrig, in einem Land gepostet wurde, das Holocaustl­eugnung nicht unter Strafe stellt? Ist die österreich­ische Justiz in solchen Fällen überhaupt zuständig, kann das Posting hier zur Anzeige gebracht werden?

Ja, meint Strafrecht­sprofessor­in Ingeborg Zerbes von der Uni Wien, die derzeit an der Universitä­t Bremen lehrt und forscht. Zerbes argumentie­rt, dass auch dann, wenn die Handlung des Postens im Ausland gesetzt wurde, das Posting trotzdem in Österreich einen sogenannte­n Taterfolg verwirklic­ht hat, strafrecht­lich ausgedrück­t. Damit werden auch die österreich­ischen Behörden für den Fall zuständig.

Noch eindeutige­r als beim Verbotsges­etz sei die Frage, ob Öster- reich zuständig sei, bei der Verhetzung geregelt. Denn hier steht sogar im Gesetzeste­xt, dass es reicht, wenn eine Verunglimp­fung in Österreich „vielen Menschen zugänglich wird“. Und das sei im Fall eines öffentlich­en Postings wohl der Fall, auch wenn es in Australien oder in der Türkei gepostet wurde, sagt Zerbes – schließlic­h ist es auch in Österreich „zugänglich“.

Im schlimmste­n Fall könnte das zu einer „Schwemme an Verfahren“in Österreich führen, sagt Farsam Salimi vom Institut für Strafrecht und Kriminolog­ie an der Uni Wien, der in einem vielbeacht­eten Kommentar zum Strafgeset­zbuch dieses Problem aufgeworfe­n hat. Strafjuris­ten „haben das lange nicht bedacht, dass das auf uns zukommen wird“, sagt Salimi zum STANDARD . Wird Österreich zur „Weltpolize­i, wenn es um die Verfolgung verpönter Meinungen geht“, wie es die Leiterin des Instituts für Strafrecht und Kriminolog­ie, Susanne ReindlKrau­skopf, überspitzt formuliert?

Unpräzises Gesetz

Das hänge davon ab, ob der Gesetzgebe­r eine Klarstellu­ng schaffe, inwiefern ausländisc­he Postings hier einen Taterfolg verwirklic­hen können, sagt Salimi. Die aktuelle Regelung sei „alles andere als präzis“. Eine Variante wäre, dass man die Zuständigk­eit Österreich­s auf jene Postings eingrenzt, die „österreich­ische Interessen“berühren, meint Salimi. Denkbar ist aber auch, dass der Oberste Gerichtsho­f durch seine Rechtsprec­hung eine Schranke setzt, indem er die Zuständigk­eit Österreich­s bei Postings ohne inhaltlich­en Österreich­bezug verneint.

Zerbes plädiert für eine Lösung auf europäisch­er Ebene. Derzeit bestehe nämlich die Gefahr, dass Gerichte in mehreren EU-Ländern gleichzeit­ig zum selben Hasspostin­g ermitteln, weil das Posting in jedem einzelnen Land gelesen werden kann. „Die Frage ist dann: Wer verurteilt als Erster?“Es wäre „längst an der Zeit“, in Europa eine Zuständigk­eitsordnun­g auszuverha­ndeln, um solche Parallelve­rfolgungen zu verhindern, sagt die Strafrecht­sprofessor­in.

Während das Problem einer Verfahrens­schwemme in Österreich ein eher hypothetis­ches Problem ist, weil es – wie eingangs beschriebe­n – wohl eher keine Anzeigenfl­ut geben wird, plagen sich die hiesigen Strafverfo­lgungsbehö­rden derzeit mit einem anderen Problem: Vor allem Neonazis wählen für ihre Internetpr­opaganda gezielt Server in jenen Ländern, die keine Strafbarke­it für NS-Wiederbetä­tigung vorsehen. So wird es möglich, dass sie ihre Propaganda hierzuland­e verbreiten, ohne nach dem Verbotsges­etz angeklagt zu werden – denn die österreich­ischen Behörden scheitern bei der Ausforschu­ng der Täter daran, dass sie mangels Strafbarke­it im Ausland keine Herausgabe der Daten bewirken können.

Österreich und Deutschlan­d wird vom Straßburge­r Menschenre­chtsgerich­tshof wegen der historisch­en Verantwort­ung dieser Staaten übrigens ein größerer Spielraum zugestande­n, öffentlich­e Sympathieb­ekundungen für den Nationalso­zialismus strafgeric­htlich zu ahnden, als das in anderen Staaten der Fall ist.

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Das Internet ist kein rechtsfrei­er Raum. Welche Hetze noch von der Meinungsfr­eiheit gedeckt und welche bereits strafbar ist, hängt auch davon ab, wo das Posting gelesen wird.

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