Der Standard

Sexuelle Belästigun­g: Frauen müssen nicht Nein sagen

Sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz ist schon lange kein Kavaliersd­elikt mehr. Zwar erfüllt nicht jede schlüpfrig­e Bemerkung den Tatbestand, urteilt der OGH. Aber: Ein Nein der Frau ist dafür auch nicht zwingend.

- Eva Konzett

Wien – Ein Vorgesetzt­er, der mit einer eindeutige­n Handbewegu­ng Oralverkeh­r nachahmt, ein Kollege, der der neuen Mitarbeite­rin ans Gesäß grapscht, der Leiter einer Kfz-Werkstätte, der über das Mobiltelef­on pornografi­sche Dateien verschickt. Für manche wird der Arbeitsall­tag zum Spießruten­lauf. Besonders betroffen sind Frauen. Fast jede vierte Frau in Österreich hat laut Familienmi­nisterium belästigen­de sexuelle Angebote am Arbeitspla­tz, im Studium oder in der Ausbildung erhalten. In der Gleichbeha­ndlungskom­mission des Bundeskanz­leramts ist sexuelle Belästigun­g ein Dauerbrenn­er. Im vergangene­n Jahr bezog sich fast jeder zweite der insgesamt 69 Anträge entweder auf sexuelle oder geschlecht­sbezogene Belästigun­g.

Beeinträch­tigte Würde

Sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz liegt vor, „wenn ein der sexuellen Sphäre zugehörige­s Verhalten gesetzt wird, das die Würde einer Person beeinträch­tigt oder dies bezweckt, für die betroffene Person unerwünsch­t, unangebrac­ht oder anstößig ist und eine einschücht­ernde, feindselig­e oder demütigend­e Arbeitsumw­elt für die betroffene Person schafft oder dies bezweckt“, so steht es im Gleichbeha­ndlungsges­etz. Das reicht etwa von verbalen Anzüglichk­eiten und Hinterherp­feifen bis zum Androhen von berufliche­n Nachteilen bei sexueller Verweigeru­ng.

Nicht jede schlüpfrig­e Bemerkung – wenn auch jenseits der moralische­n Schmerzgre­nze – kann aber als sexuelle Belästigun­g gewertet werden, das zeigt ein aktu- elles Urteil des Obersten Gerichtsho­fs. Eine Frau hatte ihren ehemaligen Arbeitgebe­r, einen Verein, auf 2000 Euro Schadenser­satz wegen sexueller Belästigun­g durch den Vereinsobm­ann geklagt.

Bei dem Fall ging es um sexuell konnotiert­e Äußerungen des Obmanns. Als die Klägerin beispielsw­eise einen Teller Spaghetti alla carbonara aß, erklärte der Obmann, dass ihn das „an etwas anderes erinnere“. Der OGH stufte diese Bemerkunge­n in ihrer Intensität zwar nicht als gering ein, allerdings, und das war in diesem Fall entscheide­nd, sei die Frau auf den „freizügig-scherzhaft­en“Umgangston eingestieg­en und habe diesen teilweise erwidert. Sie habe von sich aus SMS-Nachrichte­n an den Obmann versandt, in denen sie auf Pornoseite­n Bezug nahm. Daraus schließt das Gericht, dass für die Klägerin keine „einschücht­ernde, feindselig­e oder demütigend­e Arbeitsumw­elt“bestanden habe (OGH 20. 4. 2017, 9 ObA 38/17d).

Für Branco Jungwirth, Arbeitsrec­htexperte in der Wiener Kanzlei Gerlach, kommt das Urteil nicht überrasche­nd. „Es lässt sich erkennen, dass in vorliegend­em Fall ein lockerer Umgang geherrscht hat, auch vonseiten der Frau“, sagt er. In diesem Sinne folge das Urteil der aktuellen Recht- sprechung, wonach nicht alles eine sexuelle Belästigun­g darstelle. Gerade jetzt, wo das Thema von den Gerichten zusehends ernst genommen wird, müssen diese die Tatbestand­sgrenzen abstecken. „Durch die Sensibilis­ierung müssen auch untere Barrieren festgesetz­t werden, damit wir nicht amerikanis­che Zustände entwickeln, wo der Mann aus dem Lift springt, sobald eine Frau einsteigt“, sagt Jungwirth. „Es entscheide­t der Kontext.“

Sehr wohl aber hält der OGH fest, dass „die ausdrückli­che oder stillschwe­igende Zurückweis­ung oder Ablehnung eines sexuell belästigen­den Verhaltens durch die betroffene Person keine Tatbestand­svorausset­zung der sexuellen Belästigun­g“darstellt und widerspric­ht damit dem Berufungsg­ericht. Im vorliegend­en Falle hatte das Erstgerich­t der Frau einen Schadenser­satz von 1000 Euro zugesproch­en, das Berufungsg­ericht wies dies unter anderem mit der Begründung zurück, dass die Frau ihre Ablehnung nicht ausgedrück­t habe.

Kein Täter soll aber im Nachhinein sagen können, die Frau habe nicht Nein gesagt, erklärt nun der OGH. Ansonsten könnte dies von „potenziell­en Belästiger­n doch nur allzu leicht als Rechtferti­gung ihrer Aktivitäte­n missbrauch­t oder missversta­nden werden“. Gerade am Arbeitspla­tz nehmen Frauen aus Sorge um die Arbeitsste­lle und aus Angst vor Repressali­en und Benachteil­igungen, etwa bei Beförderun­gen oder Weiterbild­ungen, die Belästigun­gen stillschwe­igend hin. „Sexuelle Belästigun­g hat oft mit einem Machtgefäl­le zu tun. Es handelt sich um Machtmissb­rauch. Das Urteil präzisiert, dass es keine „Stoppverpf­lichtung“durch die Frau gibt. Das ist eine wichtige Klarstellu­ng vom OGH“, sagt die Juristin Bianca Schrittwie­ser von der Arbeiterka­mmer.

1000 Euro Schadeners­atz

Für sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz hat der Gesetzgebe­r einen Schadenser­satz in Höhe von mindestens 1000 Euro festgesetz­t. Dieser Anspruch besteht auch gegenüber dem Arbeitgebe­r, sofern dieser die Belästigun­g gegen eine Mitarbeite­rin oder einen Mitarbeite­r nicht unterbinde­t. Er darf den oder die Arbeitnehm­erIn auch nicht infolge einer Anzeige kündigen oder anderweiti­g diskrimini­eren.

Anders als das Arbeitsrec­ht operiert das Strafrecht in einem deutlich engeren Raum. Hier umfasst der Tatbestand der sexuellen Belästigun­g das Berühren der Geschlecht­steile sowie seit 2015 – im sogenannte­n Pograpsch-Paragaf – die intensive Berührung einer der Geschlecht­ssphäre zuzuordnen­den Körperstel­le, was das Gesäß und die Oberschenk­el meint. Das kann für den Belästiger im Gefängnis enden.

 ??  ?? Fast jede vierte Frau in Österreich ist mit sexuellen Angeboten und Belästigun­gen am Arbeitspla­tz oder bei der Ausbildung konfrontie­rt. Die Gerichte suchen nach einer Regelung mit Augenmaß.
Fast jede vierte Frau in Österreich ist mit sexuellen Angeboten und Belästigun­gen am Arbeitspla­tz oder bei der Ausbildung konfrontie­rt. Die Gerichte suchen nach einer Regelung mit Augenmaß.

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