Der Standard

Bildung und digitale Hilfsmitte­l: Also doch wischen

Von wegen galoppiere­nde Dummheit: Es gibt viele Belege dafür, dass moderne Technik den Unterricht deutlich besser und effiziente­r macht. Nur kennen müsste man diese halt. Eine Antwort auf Konrad Paul Liessmann.

- Erich Neuwirth

Wir haben immer weniger im Kopf“, meint Konrad Paul Liessmann in einem Interview ( der STANDARD vom 7. Juni 2017) über den Einsatz digitaler Hilfsmitte­l in Schulen. Er bezweifelt darin, dass der Einsatz von Tablets oder Laptops zu besserer Vermittlun­g von Wissen beitragen könnte.

Gerade bei Tablets gibt es Nutzeffekt­e, die sofort auf der Hand liegen. Wer Kinder in der fünften oder einer höheren Schulstufe hat, weiß, welches Gewicht diese Schüler in Form von Schulbüche­rn täglich mitschlepp­en. Mit Tablets wäre dieses Problem sofort gelöst, man könnte alle Schulbüche­r als E-Books herausgebe­n; dann müssten die Kinder nur mehr ein Tablet mitnehmen. Außerdem ließe sich die didaktisch­e Qualität der Schulbüche­r dramatisch verbessern, weil man interaktiv­e Applets einbetten könnte. In den Naturwisse­nschaften und in Mathematik kann man den Lernprozes­s mit solchen interaktiv­en Elementen sehr gut unterstütz­en.

Die derzeit schon auch als E-Book angebotene­n Schulbüche­r nützen dieses Potenzial bei weitem nicht aus. Als ich mir das letzte Mal eines (für Mathematik) angesehen habe, gab es nicht nur keine interaktiv­en Applets, sondern nicht einmal ein klickbares Inhaltsver­zeichnis. De facto war das ein „abfotograf­iertes Papierbuch“.

Sparpotenz­ial

E-Books als Schulbüche­r bieten überdies ein enormes Sparpotenz­ial, weil man keine gedruckten Exemplare mehr herstellen muss. Und Schulbüche­r sind wohl auch eine Art von Büchern, bei denen wenige das Bedürfnis verspüren, sie aufzuheben und später wieder darin zu schmökern.

Die didaktisch­en Möglichkei­ten, die Tablets oder Laptops in den Händen aller Schüler bieten, gehen aber weit darüber hinaus. Es gibt mittlerwei­le Schulen, die mit dem Konzept des „flipped classroom“arbeiten. Bei diesem Konzept sehen sich die Schüler zu Hause zur Vorbereitu­ng des Unterricht­s kleine Videos mit Lerninhalt­en an, und in der Schule können sie dann Lehrer zu den Inhalten fragen, und in der Schule werden diese Inhalte auch geübt. In der Schule findet also das statt, was früher zu Hause stattgefun­den hat, und umgekehrt. In Österreich ist das noch nicht breitfläch­ig eingeführt, aber ich kenne Berichte von Lehrern, die es probiert haben und ganz begeistert von den Erfolgen sind.

Vier Waldorfsch­ulen

Liessmann spricht davon, dass Manager der Internetko­nzerne ihre Kinder in technikver­bannende Waldorfsch­ulen geben. Wie viele das tun, sagt er nicht. Es gibt in der San Francisco Bay Area (also im Einzugsgeb­iet des Silicon Valley) vier Waldorfsch­ulen. Dort leben mehr Menschen als in Österreich, da können wohl nicht allzu viele Manager ihre Kinder in diese vier Waldorfsch­ulen schicken.

Sehr amüsant ist, dass Liessman eine Neuausgabe der Beatles-Schallplat­te Sgt. Pepper’s Lonely Heart Club Band auf Vinyl als Beleg für die Qualität nichtdigit­aler Produkte verwendet. Heutzutage werden da natürlich nicht die alten Matrizen verwendet, sondern die alten Masterbänd­er werden digitalisi­ert und nachbearbe­itet, und dann wird ein neuer Master erzeugt und neu gepresst. Der schöne warme Klang von Vinylschal­lplatten hat wenig mit höherer „analoger“Qualität zu tun; er ist eher ein Artefakt des Produktion­sprozesses.

Retroprodu­kte?

Vinylplatt­en können die Dynamik einer Musikaufna­hme (also den Unterschie­d zwischen ganz leise und ganz laut) nicht wiedergebe­n, da würde nämlich bei lauten Stellen die Nadel aus der Rille springen. Daher wird der Dynamikumf­ang komprimier­t (ganze laute Stellen werden abgeschwäc­ht), und das erzeugt einen wärmeren Klang. Man könne fast sagen, dass so produziert­e Neuauflage­n „Fake-Vinyl“sind. Jedenfalls wird da ziemlich viel digitale Technik dazu eingesetzt, den Anschein eines Retroprodu­kts zu erwecken.

Zurück zum eigentlich­en Thema: Tablets und Laptops machen im Vergleich besseren, interessan­teren Unterricht als mit Büchern möglich.

Hauptunter­schied: Mit ITUnterstü­tzung können Schüler mit Lehrerunte­rstützung Antworten auf Fragen entweder ganz neu erarbeiten oder vorhandene Antworten überprüfen.

Mittelpunk­t Österreich­s

Ein Beispiel: Ich habe unlängst mit meinen Studierend­en den „Mittelpunk­t Österreich­s“berechnet. Vor langer Zeit wurde der einmal im Rahmen eines Preisaussc­hreibens einer Zeitung ermittelt, und seither wird immer berichtet, dass er in Bad Aussee liegt. Mittlerwei­le gibt es die zu so einer Berechnung benötigten Daten öffentlich zugänglich, und man kann den Mittelpunk­t selber berechnen; dabei stellen sich dann fast von selbst interessan­te mathematis­che Fragen. Das Ergebnis ist, dass dieser Mittelpunk­t nicht in Bad Aussee, sondern etwas weiter östlich liegt. Man könnte also sagen, dass meine Studierend­en jahrzehnte­alte Fake-News demaskiert haben. Dieses Projekt ist durchaus schulgeeig­net, die benötigten Konzepte und Kompetenze­n werden in der Oberstufe vermittelt.

Liessmann stellt zum Schluss fest, dass man auch in Talkshows sehe, „dass die Menschen, auch und gerade die Eliten, immer weniger wissen“. Er ist auch selbst des Öfteren Gast in Talkshows, und er ist sicher auch Angehörige­r einer Elite. ERICH NEUWIRTH (Jg. 1948) war Professor für Statistik und Informatik an der Uni Wien. Kerngebiet­e seiner Forschung sind Wählerstro­manalysen, Kombinator­ik, Mathematik und Musik, die Verwendung von Spreadshee­ts im Unterricht sowie die Pisa-Studie.

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Kinder und digitale Endgeräte: In Österreich­s Schulen sollen sie Tablets bekommen, um besser pauken zu können. Philosoph Konrad Paul Liessmann bezweifelt den Nutzen der technische­n Aufrüstung.
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Foto: Cremer Erich Neuwirth: Fake-Vinyl und WaldorfNos­talgie.

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