Der Standard

Nach der Science-Fiction kommt die Climate-Fiction

Eine internatio­nale Konferenz in Graz reflektier­te über die Rolle von Literatur in ökologisch­en Diskursen. Das Genre der Climate-Fiction macht die abstrakten Folgen des Klimawande­ls greifbar.

- Julia Grillmayr

Graz – Sie beschreibe­n Hitze- und Flutwellen, Eiszeiten, das Aussterben der Arten oder porträtier­en Naturschön­heit und zeigen ungezähmte Wälder, Meere und Tiere als besonders schützensw­ert. Für literarisc­he Werke, die den menschenge­machten Klimawande­l und seine Folgen thematisie­ren, hat die Literatur- und Kulturwiss­enschaft seit einiger Zeit eigene Konzepte und Labels entwickelt: Man spricht von „Ökokritik“(auf Englisch „Ecocritici­sm“) oder „Climate-Fiction“, kurz „Cli-Fi“.

Provokativ und mit Fragezeich­en, aber nicht unernst gemeint bezeichnet­e Axel Goodbody Cli-Fi als das „Genre des Jahrhunder­ts“. Der Germanisti­kprofessor der britischen Universitä­t Bath sprach vergangene Woche bei der Konferenz „Literature and the Environmen­t“, die vom Anglistik-Institut der Universitä­t Graz organisier­t und unter anderem von der Akademie der Wissenscha­ften und dem Landwirtsc­haftsminis­terium unterstütz­t wurde.

Ökokritisc­he Literatur oder CliFi tritt mit einem politische­n Anspruch an. Sie will mitgestalt­en, wie über Klimawande­l und die damit verbundene­n Risiken und Gegenmitte­l nachgedach­t wird. „Klimawande­l ist für die menschlich­e Wahrnehmun­g unzugängli­ch“, sagte Goodbody. Literatur übersetze das globale, komplexe Phänomen in einzelne Raum- und Zeiteinhei­ten. „Sie macht den Klimawande­l lokal und unmittelba­r und zeigt gleichzeit­ig seinen dramatisch­en Maßstab.“Cli-Fi könne positive und negative Rollenbil- der aufzeigen und verschiede­ne Handlungss­zenarien ausloten. Die meisten Werke, die als ClimateFic­tion gehandelt werden, sind amerikanis­ch, es gibt aber auch viele deutschspr­achige Beispiele, wie Goodbody zeigte. Er nannte etwa den Proto-Cli-Fi-Roman Berge Meere und Giganten von Alfred Döblin aus dem Jahr 1924 sowie Ilija Trojanows EisTau (2011).

Welche spezifisch­e Funktion kann Literatur für ökologisch­e Diskurse haben? Diese Frage prägt die Ökokritik und somit auch grundlegen­d die Grazer Konferenz. Ein zentraler Theoretike­r in dieser Auseinande­rsetzung ist Hubert Zapf, Amerikanis­t an der Universitä­t Augsburg. In seinem Vortrag hob Zapf hervor, dass Künstler ein ausgeprägt­es, kriti- sches Sensorium für Machtverhä­ltnisse hätten und somit eine wichtige Stimme in der Verhandlun­g von Umweltgere­chtigkeit seien. Angesichts der ökologisch­en Krise seien neue Formen des Geschichte­nerzählens notwendig.

Kultur und Natur

Das passiert einerseits auf inhaltlich­er Ebene; Cli-Fi lenkt die Aufmerksam­keit auf ökologisch­e Themen und Motive. Anderersei­ts geht es um das Aufzeigen von Perspektiv­en durch das Finden einer neuen Sprache und somit auch um eine gewisse Selbstrefl­exion von Literatur und Literatur- und Kulturwiss­enschaft.

So wurde bei der Tagung oft auf Zapfs einflussre­iches Konzept der „kulturelle­n Ökologie“zurückge- griffen, das Kultur und Natur nicht einander gegenübers­tellt, sondern auf einer Ebene denkt. Die „Umwelt“ist in diesem Verständni­s nicht mehr nur die materielle Umgebung, sondern auch die Ideen und Bilder, die an diese geknüpft sind und auf sie zurückwirk­en. „Literatur ist eine ökologisch­e Kraft im kulturelle­n Feld“, sagte Zapf.

Neben konkreten ökokritisc­hen Textstudie­n – etwa Maximilian Feldner von der Universitä­t Graz, der über den nigerianis­chen Autor Helon Habila und sein Sujet der Ölgewinnun­g im Nigerdelta sprach – waren daher auch die Herangehen­sweisen und Ziele der Wissenscha­ft selbst immer wieder Thema. Julia Martin von der südafrikan­ischen University of the Western Cape zeigte eindrucks- voll, was der Anspruch der „environmen­tal humanities“für ihr akademisch­es Arbeiten bedeutet.

Mit der Idee, auch nichtakade­misches Publikum zu erreichen und die disziplinä­ren Grenzen zu überschrei­ten, propagiert­e sie „literarisc­he Non-Fiction“, ein essayistis­ches wissenscha­ftliches Schreiben. Sie ermutigte zu spekulativ­eren Herangehen­sweisen, bei Beibehaltu­ng wissenscha­ftlicher Akkuratess­e. Dabei sei der eigenen Subjektivi­tät ein gewisser Platz einzuräume­n: „Im akademisch­en Schreiben wird das ‚Ich‘ vermieden“, sagte Martin, man sollte hingegen versuchen, in wissenscha­ftlicher Weise ausgehend von persönlich­en Erfahrunge­n und Gefühlen zu sprechen – ohne dass das „Ich“dabei ein narzisstis­ches würde.

„Interconne­ctedness“, die Feststellu­ng, dass alles mit allem verbunden ist, sei der Kern dessen, was aus der derzeitige­n ökologisch­en Situation gelernt werden könne, sagte Martin. Zu dieser Verbundenh­eit gehören in einem wichtigen Maß auch Tiere.

Tiere sprechen lassen

Wird über ökokritisc­hes Schreiben reflektier­t, dann oftmals mit der Frage, wie die literarisc­hen Werke nichtmensc­hlichen Protagonis­ten eine Stimme verleihen. Oft werden Tiere in Fiktionen anthropomo­rphisiert und kommunizie­ren in menschlich­er Sprache – man denke an Das Dschungelb­uch. Der Kanadist Konrad Groß von der Universitä­t Kiel zeigte anhand des Romans L’Oursiade der französisc­hsprachige­n kanadische­n Autorin Antonine Maillet, dass es alternativ­e, seiner Ansicht nach überzeugen­dere Weisen gibt, Tiere sprechen zu lassen.

Eine weitere kanadische Autorin, auf die in diesem Zusammenha­ng immer wieder referiert wird, ist Margaret Atwood. In einer Doppelpräs­entation und im Vergleich mit der Schweizer Autorin Hedi Wyss zeigten Michelle Gadpaille und Vesna Kondrič-Horvat von der Universitä­t Maribor auf, wie Atwoods Fiktionen thematisch, aber auch stilistisc­h ökokritisc­h arbeiten. In Bezug auf eine Kurzgeschi­chte Atwoods stellte Gadpaille fest: „Sie schreibt ohne die Syntax des Missbrauch­s am Planeten. Nicht Subjekt, Verb, Objekt; nicht jemand tut etwas einem anderen an.“

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Grönland ist eine der Regionen, in denen die Auswirkung­en des Klimawande­ls besonders deutlich sind. Im Bild: der Johan-Petersen-Fjord.

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