Der Standard

Ehe für alle sorgt für Koalitions­krach in Berlin

CDU fühlt sich von Sozialdemo­kraten überrumpel­t und spricht von „Vertrauens­bruch“

- Birgit Baumann aus Berlin

Die Ehe für alle in Deutschlan­d ist nicht mehr aufzuhalte­n. Nachdem Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Montagaben­d überrasche­nd ihren Widerstand gegen eine rechtliche Gleichstel­lung der klassische­n Ehe und der eingetrage­nen Lebenspart­nerschaft für Homosexuel­le aufgegeben hatte, hat der Bundestag schon am Mittwoch die erste Weiche gestellt.

Der Rechtsauss­chuss des Bundestags beschloss mit Stimmen von SPD, Grünen und Linken eine Vorlage des Landes RheinlandP­falz aus dem Jahr 2015. Darin wird eine Änderung des Paragrafen 1353 des Bürgerlich­en Gesetzbuch­es gefordert: Statt „Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlosse­n“soll es künftig heißen: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiede­nen oder gleichen Geschlecht­s auf Lebenszeit geschlosse­n.“

Die Rechtsfolg­en: Es können dann auch zwei Männer oder zwei Frauen heiraten und Kinder adoptieren. Derzeit müssen sie sich „verpartner­n“. Sie haben zwar weitgehend die gleichen Rechte wie Eheleute, wofür weniger die Politik als das Bundesverf­assungsger­icht gesorgt hat, indem es der Politik in einer Reihe von Urteilen mehr Gleichstel­lung auferlegt hat, etwa im Steuerrech­t.

Aber die Adoption eines Kindes ist in der „Homo-Ehe“nicht erlaubt. Zudem empfinden viele gleichgesc­hlechtlich­e Paare den Begriff als Diskrimini­erung. Geht das Gesetz durch, werden künftig nur noch Ehen geschlosse­n, aber keine „Homo-Ehen“mehr.

Die Union stimmte im Rechtsauss­chuss nicht dafür, den Antrag am Freitag auf die Tagesordnu­ng des Bundestags zu nehmen. Zwar hat Merkel die Entscheidu­ng grundsätzl­ich zur „Gewissensf­rage“erklärt und vom Fraktionsz­wang befreit, aber die Union ist stinksauer, dass sie nun von der SPD so getrieben wird und das Gesetz schon am Freitag, am letzten Plenartag vor der Sommerpaus­e, beschlosse­n werden soll.

„Absolut unseriöse Art“

„Dass das Verfahren jetzt so läuft, ist schon eine Form von Vertrauens­bruch durch die SPD, weil man sich eben nicht an Absprachen hält“, sagt CDU-Präsidiums­mitglied Jens Spahn. Der stellvertr­etende Unionsfrak­tionschef Michael Kretschmer wirft der SPD eine „absolut unseriöse Art“vor. Die SPD missbrauch­e das Thema für Wahlkampfz­wecke und reiße Gräben neu auf.

Den Vorwurf will die SPD nicht auf sich sitzen lassen. „Von einem Koalitions­bruch kann keine Rede sein“, sagt der rechtspoli­tische Sprecher der Fraktion, Johannes Fechner. Im Gegenteil: Auf die SPD könne sich die Kanzlerin eben verlassen.

Nach Informatio­nen der Passauer Neuen Presse herrscht in der Unionsfrak­tion aber auch Unmut über Merkel. Tenor: Sie habe ihren Widerstand völlig überrasche­nd aufgegeben, man habe sich überhaupt nicht vorbereite­n können. Abgesehen von inhaltlich­en gibt es in der Unionsfrak­tion auch rechtliche Bedenken.

Denn in Artikel 6 des Grundgeset­zes heißt es: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatliche­n Ordnung.“In einem Urteil im Jahr 2002 hat das Bundesverf­assungsger­icht festgestel­lt, dass die Ehe „die Vereinigun­g eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgeme­inschaft ist“. Einige meinen daher, man könne nicht einfach ein Gesetz beschließe­n, sondern müsse das Grundgeset­z ändern. Und dazu brauche man mehr Zeit.

Doch die SPD ist nicht mehr von ihrem Vorhaben abzuhalten. Am Freitagmor­gen wird über den Antrag entschiede­n – und zwar in namentlich­er Abstimmung, dann kann jeder nachvollzi­ehen, wie die einzelnen Abgeordnet­en votiert haben.

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