„Urlaub mit drei Wochen purem Stress“
Der 36-jährige Steirer Bernhard Eisel nimmt am Samstag in Düsseldorf seine zwölfte Tour de France in Angriff. Der Road-Captain des südafrikanischen Teams Dimension Data um das britische Sprintass Mark Cavendish sieht sich in großartiger Form.
Wien – Gut möglich, dass auch bei den Eisels die Äpfel nicht weit vom Stamm fallen werden. „Ich kann ja nichts anderes, ich werde meinen Kindern nicht viel beibringen können“, sagt Bernhard Eisel. Der Steirer, dessen Leidenschaft auch mit 36 noch ungebrochen ist, fährt mittlerweile seine 17. Saison als Radprofi. Ab Samstag steigt der Vater zweier Kinder neben den Österreichern Michael Gogl (Team Trek) und Marco Haller (Katjuscha) zum bereits zwölften Mal im Rahmen der Tour de France in den Sattel. Damit baut er seinen österreichischen Rekord weiter aus. „Kaufen kannst du dir nichts dafür. Es ist schön, aber lieber wäre mir gewesen, ich wäre nur drei Etappen gefahren und hätte eine gewonnen. Ich kann mich schon noch erinnern, dass ich doch einiges erleiden musste, um zwölf Teilnahmen zu erreichen. Einem Sieg renne ich trotzdem immer noch nach“, sagt Eisel, der „Urlaub mit drei Wochen purem Stress“vor sich hat.
Keine Neidgefühle
Die Helferrolle habe ihm immer Spaß gemacht. „Ich war nie jemandem einen Sieg neidig oder hatte ein Problem, weil jemand mehr verdient. Ich habe eigentlich alles erreicht in meinem Leben. Ich bin 36, habe noch nie gearbeitet. Ich kann mir gar nicht vorstellen, jeden Tag in die Arbeit zu gehen.“Oftmals besteht Eisels Arbeitstag aus nur drei Stunden Training, doch das hat es in sich. Danach kann er sich meist ein paar Stunden nicht bewegen, „weil ich so hin bin. So geht es aber auch vielen anderen, die einem normalen Beruf nachgehen. Ich bin in der glücklichen Lage, dass es mir Spaß gemacht hat, auch wenn Leid und Drama dabei waren.“
Der Wahlklagenfurter, der im Winter in Südafrika trainiert, kann getrost behaupten, dass er bei einem Tour-de-France-Sieg seine Beine maßgeblich im Spiel hatte, 2012 nämlich, als seine britischen Sky-Kollegen abräumten, Bradley Wiggins die Gesamtwertung und Mark Cavendish die Schlussetappe gewann. „Das war perfekt. Es gibt nichts Schlimmeres, als dass du nach Paris kommst und nichts gewonnen hast.“
Eisel leistete bei den meisten Etappensiegen von Cavendish in Frankreich wertvolle Dienste als Zugmaschine vor den Zielsprints. Der Mann von der Isle of Man schraubte sein Erfolgskonto bei der vergangenen Tourauflage mit vier Tagessiegen auf 30, zog damit am Franzosen Bernard Hinault (28) vorbei und näherte sich dem Belgier Eddy Merckx (34).
Wäre Cavendish nicht erst im April Pfeiffer’sches Drüsenfieber diagnostiziert worden, müsste der „Kannibale“um seine Spitzenposition bangen. Doch eben erst langsam wieder auf Touren gekommen, rechnet nun keiner mit Wunderdingen des 31-Jährigen. „Ich bin es mir, meinem Team und der Tour schuldig, zu versuchen, mein Bestes zu geben“, twitterte der Brite, als sein lange fragliches Antreten fix war.
Etappensiege sind nach fünf Tageserfolgen 2016 aber auch heuer wieder das Ziel des südafrikanischen Eisel-Teams Dimension Data. „Selbst in einer perfekten Saison ist es nahezu unmöglich, den Rekord zu brechen, unter den aktuellen Umständen ganz unmöglich. Trotzdem werden wir versuchen, uns so gut wie möglich zu verkaufen.“
Stressfrei zur Sache
Eisel selbst hat bislang 24 ProfiSiege gefeiert, den größten Erfolg landete er beim Frühjahrsklassiker Gent-Wevelgem, den er 2010 überraschend gewann. Mittlerweile kann Eisel, der sich nach perfekter Vorbereitung in „sicherlich bester Form der letzten Jahre, Weltklasse“, wähnt, stressfrei an die Sache herangehen. Seine Erfahrung macht’s möglich, er ist immerhin bereits elfmal in Paris angekommen. Georg Totschnig, 2005 Sieger der 14. Etappe zur Bergankunft nach Ax 3 Domaines, verzeichnete acht Starts in Frankreich, Peter Wrolich und Peter Luttenberger deren fünf. Rekordhalter sind Jens Voigt aus Deutschland, der Australier Stuart O’Grady und George Hincapie aus den USA mit je 17.
Würde Eisel heuer in Frankreich eine Etappe gewinnen, „wäre es eher Zufall“. Es wäre aber gut, „wenn man sich im Hinterkopf damit beschäftigt, weiter davon träumt, um mental bereit zu sein. Nicht dass man plötzlich vorne ist und sich fragt: ‚Uh, und was jetzt?‘“
Irgendwann muss Schluss sein, Eisels Vertrag läuft noch bis Ende 2018 mit 2019 als Option. Danach gäbe es einige Möglichkeiten. „Ich bin selbst noch am Sondieren, wo ich hinwill. Aber es wird definitiv im Radsportbereich sein, weil es das Einzige ist, wovon ich eine Ahnung habe. Wenn ich das Niveau nicht mehr halten kann, dann bin ich raus.“
Der Steirer hat Hincapie, der seine Karriere 2012 beendete, schon vor Jahren mehrmals gebeten: „Wenn es peinlich wird, rufe mich an, dann höre ich auf!“Noch aber hat der US-Amerikaner nicht angerufen, also fährt Eisel weiter. pFeature mit Langfassung, Videos,
Grafiken auf derStandard.at/Sport