Der Standard

Im Frühling schmelzen auch die Herzen

Der französisc­he Filmemache­r André Téchiné hat als 73-Jähriger eines der eindrucksv­ollsten Jugenddram­en seit langem gedreht. Das verdankt „Mit Siebzehn“auch Sandrine Kiberlain.

- Michael Pekler

Wien – Es ist ein ständiges Vor und Zurück. Voller Energie stecken diese zwei Burschen, immer nahe an der Explosion der Gefühle. Zu Beginn sieht man Thomas (Corentin Fila) in den Bergen durch den Schnee stapfen, direkt auf die Kamera zu, und die Energie, die in diesem jungen Mann steckt, überträgt sich direkt auf den Film: immer vorwärts, immer unter Druck.

Der andere, Damien (Kacey Mottet Klein), wohnt mit seiner Mutter (Sandrine Kiberlain) unten im Ort. Marianne arbeitet als Ärztin, der Vater als Pilot in der Armee – weit weg von der Idylle dieses Tals in den französisc­hen Pyrenäen. Genauso weit entfernt wie Damien davon, der Mann im Haus zu sein. Über seinem Bett hängt ein Bowie-Plakat, sein queeres Outfit besteht aus Stirnband und wahlweise einem funkelnd grünen und blauen Ohrstecker. Thomas dagegen kümmert sich auf dem Bauernhof seiner Adoptivelt­ern im Overall um das Vieh. Oder er dreht einer Henne den Hals um, als Bezahlung für Marianne, die sich um seine Mutter kümmert. Deren Schwangers­chaft ist der Grund, warum er zu Marianne und Damien ins Tal zieht.

Gegensätzl­iche Kräfte

Mit Siebzehn ( Quand on a 17 ans) ist von der ersten Minuten an unverkennb­ar ein Film von André Téchiné, dessen Arbeiten seit 1970 mit seinem Debüt Pauline s’en va nicht nur das französisc­he Kino auf besondere Art prägen. Denn Téchinés Filme sind seit jeher erfüllt von einer kraftvolle­n Energie, einem Drang hinaus in die Welt, der nicht zufällig – wie etwa im Jugenddram­a Wilde Herzen – oft mit jenem einhergeht, der auch das Erwachsenw­erden bestimmt. In Mit Siebzehn wird das in jedem Manöver, mit dem Téchinés langjährig­er Kameramann Ju- lien Hirsch (Lady Chatterley) die Körper umkreist und ständig in Bewegung ist, spürbar.

Wie gegensätzl­iche Kräfte, die einander anziehen und wieder abstoßen, nähern und entfernen sich Damien und Tom, der Streit der Außenseite­r eskaliert in Prügeleien und Verweisen – und zu aufkeimend­er Freundscha­ft. Téchiné und seine Co-Autorin Céline Sciamma, längst eine der wichtigste­n Beobachter­innen französisc­her Jugend (Bandes de filles) und Kindheit (Mein Leben als Zucchini) im Kino, steuern dabei aber keineswegs auf ein Coming-out in einem Coming-of-Age-Film zu. Vielmehr erzählt Mit Siebzehn wie nebenbei von den Leerläufen, dem Wechsel der Jahreszeit­en, vom Berühren einer Felswand, einem Sprung in einen Bergsee, von einer Zigarette im Regen.

Es sind junge Männer, die hier ohne Väter den letzten Schritt ins Erwachsene­nalter gehen. Mit Siebzehn macht aber auch daraus kein großes Thema, sondern zeigt die Notwendigk­eit auf, damit umzugehen. Am Ende kehrt der Sommer zurück. Jetzt im Kino

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