Der Standard

Lebenszeit ohne natürliche Obergrenze

Im Oktober letzten Jahres setzten Wissenscha­fter das höchstmögl­iche Alter für einen Menschen mit 125 Jahren an. Nun aber bezweifeln kanadische Forscher diese Grenze: Womöglich existiert ein solches Limit gar nicht.

- Thomas Bergmayr

Montreal/Wien – Jeanne Calment starb am 4. August 1997 im sagenhafte­n Alter von 122 Jahren. Niemand sonst lebte jemals so lange, zumindest nach offizielle­n und wissenscha­ftlich überprüfte­n Erkenntnis­sen. Die Rekordhalt­erin aus Arles in der französisc­hen Provence kümmerte sich nach eigenen Angaben nicht sonderlich um ihre Gesundheit, im Gegenteil: Sie war bis zu einem Alter von 119 Jahren Raucherin, hing also fast 100 Jahre am Glimmstäng­el.

Menschen wie Jeanne Calment oder die Jamaikaner­in Violet Brown – die mit 117 Jahren derzeit älteste lebende Person – haben Wissenscha­fter seit jeher fasziniert und letztlich die Frage aufgeworfe­n: Wie alt kann ein Mensch maximal werden? USForscher glaubten in einer im vergangene­n Oktober veröffentl­ichten Nature- Studie eine Antwort gefunden zu haben. Die Forscher um Jan Vijg hatten demografis­che Daten aus über 40 Ländern analysiert und sind dabei zu dem Schluss gekommen: Bei 125 Jahren sei endgültig Schluss. Der Großteil der Supercente­narians dürfte demnach 115 Jahre nur in Einzelfäll­en überschrei­ten.

Kein Limit in Sicht

Dem widerspric­ht nun ein Team um Bryan G. Hughes und Siegfried Hekimi von der McGill University im kanadische­n Montreal. In gleich fünf ebenfalls in Nature präsentier­ten Arbeiten kommen die Wissenscha­fter zu völlig anderen Ergebnisse­n, was die künftige maximale Lebens- erwartung betrifft. Sie analysiert­en Daten zu den langlebigs­ten Individuen in den USA, Großbritan­nien, Frankreich und Japan für jedes Jahr seit 1968 und konnten dabei keinen Hinweis entdecken, dass überhaupt ein Limit existiert.

Auch die medizinisc­hen Ergebnisse der vergangene­n Jahrzehnte würden in diese Richtung weisen, so die Forscher. Der Alterungsp­rozess sei eine progressiv­e Anhäufung unterschie­dlicher körperlich­er Verfallser­scheinunge­n. Von einem genetisch vorprogram­mierten Lebensende, einem biologi- schen Limit, sei dagegen weit und breit nichts zu sehen.

„Wir wissen daher nicht, wo dieses Limit liegen könnte. In Wahrheit zeigen unsere Trendanaly­sen vielmehr, dass die höchsten Lebenserwa­rtungen für die absehbare Zukunft immer weiter ansteigen“, meint Hekimi. In den letzten 100 Jahren sei die Durchschni­ttslebense­rwartung in Kanada von 60 auf heute 82 Jahre angewachse­n, so der Biologe. „Wir glauben, dass die künftigen maximalen Lebensalte­r dieser Entwicklun­g folgen werden.“

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Geburtstag­sküsse für eine 120-Jährige: Kein Mensch lebte bisher länger als Jeanne Louise Calment.

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