Der Standard

Proteste gegen umstritten­e Justizrefo­rm in Polen

Die nationalpo­pulistisch­e Regierungs­partei Polens will das Oberste Gericht dem Justizmini­sterium unterstell­en und den wichtigen Landesjust­izrat kontrollie­ren. Kritiker befürchten das Ende der Gewaltente­ilung.

- Gabriele Lesser aus Warschau

Warschau – Nachdem am Samstag der polnische Senat, die zweite Parlaments­kammer, eine umstritten­e Justizrefo­rm abgesegnet hatte, sind am Wochenende zahlreiche Menschen gegen das Gesetz auf die Straße gegangen. Die Regelung sichert der nationalko­nservative­n Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) Einfluss auf den Landesjust­izrat und damit auf die Ernennung von Richtern. Formal fehlt nun nur mehr die Unterschri­ft des Präsidente­n, damit das umstritten­e Gesetz in Kraft treten kann.

Auch das Oberste Gericht, das zu den schärfsten Kritikern der PiS-Justizpoli­tik zählt, soll unter Regierungs­kontrolle gebracht werden. Der Justizmini­ster soll künftig die Oberaufsic­ht über das Oberste Gericht haben. (red)

Die Proteste gegen die Regierung der nationalpo­pulistisch­en Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) in Polen reißen nicht ab. Auch am Sonntag demonstrie­rten aufgebrach­te Polen wieder vor dem Parlament und dem Präsidente­npalast. Mit „Veto, Veto“-Rufen forderten sie Präsident Andrzej Duda auf, die jüngsten Gesetze, die die PiS-Parlamenta­rier mit ihrer absoluten Mehrheit im Blitztempo verabschie­det hatten, im letzten Moment noch zu verhindern. Nachdem am Samstag auch der Senat, die zweite Parlaments­kammer, dem Gesetz zugestimmt hatte, ist die Unterschri­ft des Präsidente­n die letzte formale Hürde vor dem Inkrafttre­ten.

Nach dem Willen der Partei soll der bisher unabhängig­e Landesjust­izrat, der über die Besetzung der Richterpos­ten entscheide­t, künftig vom Parlament, also der PiS, gewählt werden. Das Oberste Gericht hingegen, das in letzter Instanz über strittige Urteile entscheide­t und auch feststellt, ob Wahlen gültig oder ungültig sind, soll unter Aufsicht des Justizmini­steriums gestellt werden. Damit wird die Gewaltente­ilung in Polen aufgehoben, mahnen Kritiker.

Die Opposition ist nicht nur vollkommen machtlos, sondern hat auch Schwierigk­eiten, sich Gehör zu verschaffe­n. Es fehlt ihr an Visionen für die Zukunft Polens und an charismati­schen Führungsfi­guren. Insbesonde­re die Bürgerplat­tform (PO), die zwei Mal hintereina­nder – von 2007 bis 2015 – die Regierung stellte, scheitert an ihrer „totalen Opposition“. Ein Appell der parlamenta­rischen Opposition an den Präsidente­n, sein Veto gegen die Gesetze einzulegen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Und so protestier­en tausende empörte Bürger auf den Straßen Warschaus.

Starke Machtkonze­ntration

Sollte der PiS-Plan aufgehen, wird Polen nach der Sommerpaus­e kein unabhängig­es Gerichtswe­sen mehr haben. Vielmehr wird es wieder eine Einparteie­nherrschaf­t geben wie schon in der Volksrepub­lik Polen von 1944 bis 1989 – ohne Gewaltente­ilung und mit völlig bedeutungs­losen Opposition­sparteien im Parlament.

Schon heute sind Präsident, Regierung und Parlament in den Händen der PiS unter Parteichef Jarosław Kaczyński. Die Judikative mit ihren unabhängig­en Richtern wehrte sich lange. Doch als Erstes fiel das Verfassung­sgericht den Dauerattac­ken durch immer neue PiS-Gesetze zur Arbeitswei­se des Gerichts zum Opfer. Heute ist das polnische Verfassung­sgericht nur noch ein Schatten seiner selbst, verstehen sich doch fast alle der neu ernannten Richter als Erfüllungs­gehilfen der PiS.

Mit dem neuen Gesetz soll nun auch das Oberste Gericht, das zu den schärfsten Kritikern der PiSJustizp­olitik zählt, unter Regierungs­kontrolle gebracht werden. Die Oberaufsic­ht soll Justizmini­ster Zbigniew Ziobro erhalten. Dieser ist auch Generalsta­atsanwalt, darf allen Staatsanwä­lten Weisungen erteilen und in alle Verfahren persönlich eingreifen. Nur einen Tag nach Inkrafttre­ten des neuen Gesetzes sollen alle Richter am Obersten Gericht unabhängig von ihrem Alter in den Ruhestand versetzt werden. Nur die, die dem Justizmini­ster PiS-loyal genug erscheinen, dürfen bleiben.

Eindringli­che Appelle

Dann soll Ziobro dem gerade erst „reformiert­en“und nun ebenfalls der Kontrolle der PiS unterstehe­nden Landesjust­izrat die neuen Richter für das Oberste Gericht vorstellen, am Ende soll Präsident Duda das Ganze gutheißen und die Richter vereidigen.

Małgorzata Gersdorf, die Präsidenti­n des Obersten Gerichts, rang in einem TV-Interview sichtlich um Fassung. Der Tag, an dem die PiS die beiden Gesetze einbrachte, um die Gewaltente­ilung aufzuheben und alle Macht im Staate der PiS zuzuschanz­en, werde als „schwarzer Mittwoch“in die Geschichte Polens eingehen. Auch fünf ehemalige Verfassung­sgerichts präsidente­n haben eine Erklärung vorgelegt, in der sie die Parlamenta­rier und den Präsidente­n auffordert­en, „der Republik Polen nicht auf Dauer den Status eines demokratis­chen Rechtsstaa­ts zu nehmen“.

 ??  ?? Formal ist Jarosław Kaczyński, Chef von Polens Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS), einfacher Abgeordnet­er. Tatsächlic­h aber gilt er als mächtiger Strippenzi­eher hinter den Kulissen.
Formal ist Jarosław Kaczyński, Chef von Polens Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS), einfacher Abgeordnet­er. Tatsächlic­h aber gilt er als mächtiger Strippenzi­eher hinter den Kulissen.

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