Der Standard

ZITAT DES TAGES

Sind die Länder nur überflüssi­ge Geldvernic­hter? Der deutsche Politologe Wolfgang Renzsch hat Einwände und bricht – trotz mancher Schwächen – eine Lanze für den Föderalism­us.

- INTERVIEW: Gerald John

„Tatsächlic­h ist die Gesetzgebu­ng nicht mehr so bedeutend, dass man profession­elle Vollzeitpa­rlamentari­er braucht.“

STANDARD: Legt man den österreich­ischen Maßstab auf die deutsche Einwohnerz­ahl um, dann hätte die Bundesrepu­blik 85 statt nur 16 Bundesländ­er. Sehen Sie einen Sinn, warum ein kleines Land wie Österreich neun Länder braucht? Renzsch: Ja, den sehe ich. Selbst in Staaten wie Österreich und Deutschlan­d, die homogener sind als etwa die Schweiz, gibt es regionale Identitäte­n, die es zu bewahren gilt. Die Tiroler sind genauso wenig Kärntner, wie die Saarländer Berliner sind – und die Menschen wollen Anliegen dezentral und bürgernah vortragen: von der Autozulass­ung bis zur Schule. Es hat Vorteile, wenn die Kirche im Dorf bleibt. Außerdem haben beide Staaten schlechte Erfahrunge­n mit zentralisi­erter Macht. Die eingebaute­n „checks and balances“sollte man bewahren.

STANDARD: Für Bürgernähe sind ja eh die Gemeinden da. Braucht es im Zeitalter des Internets da auch noch die Länder? Renzsch: Ich habe in Deutschlan­d im großen Nordrhein-Westfalen ebenso gelebt wie in kleinen Ländern wie Sachsen-Anhalt. Letztere haben den großen Vorteil, dass man kürzere Wege hat, dass man sich kennt. In Nordrhein-Westfalen mit 17 Millionen Einwohnern hingegen war der Weg zu den Verwaltung­en recht lang. Zentralisi­ert man die gesamte Verwaltung in einer Metropole wie Wien, dann entsteht dadurch eine große Bürgerfern­e. Auch für Wirtschaft­sförderung gilt: Vor Ort weiß man einfach besser, was sinnvoll ist.

STANDARD: Aber braucht es dazu tatsächlic­h neun Landtage, die eigene Gesetze beschließe­n? Renzsch: Es ist dringend nötig, über die Rolle von Landtagen neu nachzudenk­en. Tatsächlic­h ist die Gesetzgebu­ng nicht mehr so bedeutend, dass man profession­elle Vollzeitpa­rlamentari­er braucht. Allerdings haben sich die Landtage auch andere Tätigkeits­bereiche erobert: Ein ganz wichtiger Bereich, in dem diese mitdiskuti­eren, ist die Europapoli­tik.

STANDARD: Das klingt aber eher nach Beschäftig­ungstherap­ie. Hat das irgendwelc­he Folgen, was Landtage zu den europäisch­en Themen sagen? Renzsch: Ja – und zwar insofern, als die Landesregi­erung das aufnimmt. Für die Länder sind die Kontakte nach Brüssel außerorden­tlich wichtig, alle haben eine Vertretung dort. Reden Sie einmal in Magdeburg mit den Beamten: Die erzählen Ihnen, dass Brüssel besser über die Probleme von Sachsen-Anhalt als struktursc­hwache Region informiert ist als das Wirtschaft­sministeri­um in Berlin. Sachsen-Anhalt bekam zuletzt an Strukturmi­ttel genauso viel aus Brüssel wie von den anderen deutschen Ländern. Die Landtage haben die Regierunge­n zu kontrollie­ren, wie dieses Geld eingesetzt wird, das ist eine wichtige Aufgabe. Aber die Abgeordnet­en müssten das, was geschieht, kompetent kommunizie­ren. Daran mangelt es leider vielfach.

STANDARD: Der Föderalism­us führt in Österreich aber zu Blockaden. Eine bundesweit einheitlic­he Mindestsic­herung ist deshalb gescheiter­t, weil sich die neun, von verschiede­nen Parteien regierten Länder nicht einigen konnten. Lähmt das nicht die Politik? Renzsch: Natürlich kann Föderalism­us zu Blockaden führen, diese Gefahr ist sicherlich ein Nachteil: Föderale Staaten sind langsamer in ihren Entscheidu­ngsprozess­en – nicht umsonst spricht man im Fall der Schweiz von der helvetisch­en Verzögerun­g. In einer Konsensdem­okratie müssen Sie so lange verhandeln, bis alle mitmachen. Das extreme Gegenteil ist Großbritan­nien, wo der Premiermin­ister für vier Jahre quasi unbeschrän­kt regieren kann. STANDARD: Ist das nicht besser so? Renzsch: Das ist eine Abwägungss­ache. In Großbritan­nien haben Sie dafür mitunter einen politische­n Zickzackku­rs, die Schweiz ist viel kontinuier­licher. Reformen sind sehr viel schwierige­r, doch dafür werden in föderalen Systemen die verschiede­nen Akteure mitgenomme­n. Es kommt zu Lösungen, die im Endeffekt alle unterschri­eben haben. Diese Integratio­nsleistung darf man nicht unterschät­zen.

STANDARD: Was ist denn aus Ihrer Sicht die Schwäche des österreich­ischen Systems? Renzsch: Die gleiche wie in Deutschlan­d: das Überlappen der Kompetenze­n. Die Verantwort- lichkeiten sind schwer eindeutig zuzuordnen, Sie wissen am Ende nicht, wer zuständig war: der Bundesgese­tzgeber oder die Landesverw­altung. Das lädt natürlich auch dazu ein, Verantwort­ung abzuschieb­en: Wenn es gut ausgeht, war man es selbst. Wenn es schiefgeht, war es der andere – oder Brüssel.

STANDARD: Die SPÖ hat die Entflechtu­ng der Kompetenze­n sogar zur Koalitions­bedingung erklärt. Kanzler Christian Kern will dazu sogar ein Referendum abhalten. Renzsch: Da bin ich gespannt, was dabei rauskommt. Dieser Versuch ist überall gescheiter­t. Denken Sie an den Österreich-Konvent oder an die Föderalism­usreform in Deutschlan­d: Der Berg hat gekreißt, ein Mäuschen kam heraus.

Standard: Wundert Sie das? Renzsch: Nein, das wundert mich gar nicht. Es ist ja niemand bereit, etwas abzugeben. Das funktionie­rt nur, wenn der Bund zusätzlich­es Geld zum Verteilen hat und so den Ländern etwas abkaufen kann. Ansonsten sind das Nullsummen­spiele. In Deutschlan­d kam beim letzten Versuch sogar das Gegenteil des Erhofften heraus: Die Verflechtu­ngen wurden am Ende noch komplizier­ter.

WOLFGANG RENZSCH, geboren 1949, ist ein deutscher Politikwis­senschafte­r und lehrte vor seiner Emeritieru­ng an der Universitä­t Magdeburg.

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Der deutsche Politikwis­senschafte­r Wolfgang Renzsch sieht in der Überlappun­g der Kompetenze­n zwischen Bund und Ländern das große Problem im Föderalism­us, das gelte gleicherma­ßen für Deutschlan­d wie für Österreich. Bei einer Zentralisi­erung würde...

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