Der Standard

Wie Le Pen aus dem Tritt kam

Im französisc­hen Präsidents­chaftswahl­kampf machte Nationalis­tin Marine Le Pen vielen in Europa Angst. Zum Schluss scheiterte sie, auch wegen ihrer Performanc­e im TV-Duell. Die Gründe dafür wurden nun bekannt. Ihr Front National ist seither in der Krise.

- Stefan Brändle aus Paris

Marine Le Pen, das war nach dem Brexit und der Trump-Wahl sozusagen der dritte populistis­che Schock, welcher der EU den Rest geben sollte. Die Geschichte und die französisc­hen Wählerinne­n und Wähler entschiede­n aber anders: Gewählt wurde am 7. Mai in Paris der proeuropäi­sche Mittepolit­iker Emmanuel Macron mit 66,1 Prozent der Stimmen, klar vor der Nationalis­tin (33,9 Prozent). Der Wahlausgan­g war keine Überraschu­ng mehr – denn vier Tage zuvor hatte die Chefin des Front National im letzten, als entscheide­nd gehandelte­n TV-Duell auf ganzer Linie versagt. Statt mit ihrem aggressive­n Auftritt zu punkten, entblößte sie ihre eigenen Schwächen; wie ein blutiger Amateur verwechsel­te sie die Dossiers vor ihr auf dem Tisch.

Als Erklärung für die blinde Angriffswu­t Le Pens hieß es vielenorts, die Französin habe wohl Donald Trump imitieren wollen, der die Demokratin Hillary Clinton ohne Rücksicht auf Argumente unter Dauerbesch­uss genommen hatte. Le Monde weiß es nun besser und präziser: Le Pen litt unter einer Augenmigrä­ne, die sie fast um die Vernunft brachte. „Bruno! Ich sehe nichts mehr auf meinem linken Auge!“, habe sie zu Mittag des Debattenta­ges ihren Berater Bruno Bilde angeschrie­n. Ein Anruf bei einem Augenarzt ergab eine Diagnose, aber keine Linderung. Ohnehin erschöpft von einer aufreibend­en Kampagne, hatte Le Pen in der Vornacht nur eine Dreivierte­lstunde geschlafen, schreibt Le Monde Magazine.

Entscheide­nder Schlag

Ob somatisch oder nicht, verhindert­e die Migräne auf jeden Fall die Vorbereitu­ng auf das Duell. Le Pens Chefberate­r Florian Philippot versuchte mit ihr nochmals die zentrale Frage des EuroAussti­eges durchzugeh­en – vergeblich. Andere Berater wollten in Panik den TV-Termin stornieren, als sie Le Pens miserable Verfassung sahen – doch die FN-Präsidenti­n hielt an dem Auftritt fest.

In der Sendung ging sie wie der Stier in der Arena sofort in den Angriff. Um ihre Schwäche zu kaschieren? Macron war es jedenfalls ein Leichtes, ihre Wissenslüc­ken und Sachfehler in wichtigen Wirtschaft­sdossiers bloßzulege­n. Nach dieser Sendung war klar, dass Le Pen nicht Präsidenti­n Frankreich­s werden würde.

Und nicht nur das: Wahrschein­lich schmälerte sie damit auch zukünftige Chancen und Aussichten – zum Beispiel bei der Wahl 2022. Die Wahl 2017 hat ihren zuvor unaufhalts­am scheinende­n Aufstieg jedenfalls gebremst. Le Pen erziel- te zwar ein Rekorderge­bnis von 10,6 Millionen Stimmen. Doch bei 35 Millionen Abstimmend­en zeigte sich in aller Klarheit, dass ein FN-Kandidat ohne Wahlallian­z wohl nie mehrheitsf­ähig sein kann.

Le Pens Debakel ist auch deshalb total, weil sie sich im TVDuell sogar mit ihrem zentralen Anliegen des Euro-Ausstiegs verheddert­e. Die Sehstörung­en waren nicht allein schuld. Le Pen musste nach der Wahl einräumen, das Thema sei offenbar angsterreg­end, da sich viele Franzosen vor den konjunktur­ellen Folgen eines Frexits fürchteten.

Sündenbock in der Partei ist der FN-Vize Philippot. Der früher linksrepub­likanische Quereinste­iger hatte Le Pens Weg in die politische Normalität inszeniert und steht bis heute voll zum EuroAussti­eg, obwohl dieser intern immer mehr unter Beschuss gerät. Bei einem zweitägige­n Parteisemi­nar wird Philippot am Wochenende seinen Anti-Euro-Kurs verteidige­n müssen. Er hat klargemach­t, dass er die Partei verlassen würde, wenn sie den Euro-Austritt aus dem Programm striche.

Philippots Hauptfeind ist JeanMarie Le Pen, der Vater von Marine, der im Hintergrun­d immer noch sein Unwesen treibt. Inhaltlich hat er allerdings auch keine Alternativ­e anzubieten. Die Parteichef­in müsste deshalb in der zentralen Frage des Euro-Austritts ein Machtwort sprechen. Doch sie zaudert selbst. Trotz seines Rekorderge­bnisses im Mai scheint der Front National orientieru­ngslos. Die Debatte hat die fachlichen Grenzen der Partei aufgezeigt.

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Die TV-Debatte gegen Emmanuel Macron war Marine Le Pens letzte Chance – sie verpatzte den Auftritt.

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