„Toleranz muss nicht Akzeptanz bedeuten“
Olga DeJesus bildet Lehrer in New York aus. Sie würde tolerieren, dass ihr ein Schüler nicht die Hand gibt
Wien – Olga DeJesus würde es tolerieren, wenn ein Schüler ihr aus religiösen Gründen nicht die Hand gibt. Die Assistenzprofessorin für Mehrsprachigkeit am Mercy College in New York ist in der Lehrerausbildung tätig und unterrichtet Pädagogen. „Toleranz muss nicht Akzeptanz bedeuten“, lautet eines der Leitmotive, die sie ihnen mitgibt. „Wir müssen die Unterschiede tolerieren. Das heißt aber nicht, dass ich das bei mir zu Hause akzeptieren würde. Das ist für das Klassenzimmer aber irrelevant“, sagt DeJesus im Gespräch mit dem STANDARD.
Die Pädagogin war im Juni im Rahmen ihres „Fulbright Specialist in Migration“-Programms als Gastprofessorin an der Pädagogischen Hochschule Wien tätig. In den USA ist Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer oft die Regel. „Für uns ist es normal, ständig mit neuen Schülern aus dem Ausland konfrontiert zu werden“, sagt DeJesus.
In Österreich steigen die Zahlen. Insgesamt besuchten am Beginn des Schuljahrs 2016/17 rund 16.000 minderjährige Asylwerber die Schulen, das waren rund 10.000 mehr als im Jahr davor. Knapp ein Viertel aller Schüler hat eine andere Umgangssprache als Deutsch.
Um mit Flüchtlingskindern und Migranten umgehen zu können, sei es besonders wichtig, den Lehrern das Rüstzeug für den Umgang mit unterschiedlichen Kulturen zu geben. „Wenn es um Religion geht, dann sollte ich verstehen, warum mir jemand nicht die Hand gibt“, sagt DeJesus. „Ich kann nachfragen, vielleicht sagen mir die Schüler dann: Ich schüttle Ihre Hand nicht, weil das laut meinem Glauben nicht in Ordnung ist, wenn wir nicht verheiratet sind. Das sollte für mich Grund genug sein, das zu tolerieren.“
Natürlich müsse das nicht bedeuten, dass sie damit einverstanden sei. „Ich kann auch sagen: Das ist in Ordnung, wir können einander die Hände schütteln, es ist keine sexuelle Handlung, es ist eine freundschaftliche Geste. Wenn sie das anders wahrnehmen, muss ich das tolerieren. Ich sollte sie nicht zwingen.“
Sonst würde man die Situation nicht entschärfen, sondern anheizen. „Es ist besser, dem Schüler nach und nach die Chance zu geben, seine Umgebung zu erfassen und die Unterschiede zu verstehen.“
Genauso verlange sie von den Schülern, dass sie ihre Ansichten respektieren. „Das ist die Macht der Bildung. Wenn wir voneinander lernen und etwas über kulturelle Unterschiede erfahren, sinkt die Angst vor dem Fremden. Wir haben Angst vor dem, was wir nicht kennen.“
Die Schüler bräuchten eine stressfreie Umwelt, in der sie beobachten und verarbeiten können, um danach die Entscheidung zu treffen, ob sie sich anpassen können. „Manche von ihnen werden sich dafür entscheiden, weil sie dazugehören wollen. Jeder will dazugehören und nicht alleine sein.“Einige seien nicht freiwillig ausgewandert, sondern dazu gezwungen gewesen, ihre Angehörigen und Freunde zu verlassen, ihre Motivation sei oft gering. „Wir müssen diesen Schülern die Möglichkeit geben, hier sein zu wollen. Ihnen eine Möglichkeit geben, zu sehen, wo in diesem Land sie hinpassen.“
Die beste Art, in einem Klassenzimmer zu unter- richten, in dem 90 Prozent der Kinder eine andere Muttersprache haben, ist laut DeJesus der schülerzentrierte Unterricht in Projektgruppen.
Dabei müssten Lehrer in der Vorbereitung die unterschiedlichen Anforderungen bedenken. „Man kann ein gemeinsames Ziel für alle haben – zum Beispiel den Kontinent Afrika in der vierten Klassen Volksschule kennenzulernen. Wenn man ein Video über Afrika zeigt, können alle davon profitieren – diejenigen, die Deutsch kaum verstehen, können durch das Zuhören und Zuschauen die Sprache erlernen. Die Schüler, die Deutsch verstehen, lernen Details zum Kontinent.“
Eine Möglichkeit, gute Schüler in solchen Klassen nicht zu vernachlässigen, ist für DeJesus auch der bilinguale Unterricht. In den USA findet dieser häufig auf Spanisch und Englisch statt, die Lehrer selbst sind zweisprachig. Was für die Muttersprachler Fremdsprachenunterricht in Spanisch ist, ist für Migranten eine Möglichkeit, besser Englisch zu lernen.
Wichtig sei auch, eine gemeinsame Basis mit den Flüchtlingskindern zu finden. Das könne etwa die englische Sprache sein oder Sprachsoftware am Handy.