Der Standard

Das achte Weltwunder aus der Gefriertru­he

Roger Federer ist nicht nur für sich selbst, sondern für das gesamte Tennis verantwort­lich. Er trägt die Last mit Bravour, obwohl er nur mehr halbtags arbeiten geht. Zum achten Sieg in Wimbledon reichte das.

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London – Garbine Muguruza hatte sich so sehr auf den Tanz gefreut, doch der gehört längst nicht mehr zum Protokoll des Champions Dinner von Wimbledon. Im Gegensatz zur Spanierin dürfte Roger Federer nicht allzu traurig gewesen sein, dass es in der Londoner Guildhall bei einem mehr oder weniger gemütliche­n Abendessen mit gelegentli­chen Lobhudelei­en im Kreise seiner Liebsten blieb. Am 8. August wird der Schweizer 36 Jahre alt, da muss man sich die Kräfte gut einteilen, zumal auf seinen Schultern nicht nur die Verantwort­ung für die eigene Karriere lastet. Es geht ums Tennis insgesamt.

„Das achte Weltwunder“(Times) ist das globale Aushängesc­hild. Weltweit wird Federer verehrt, er wird als „unbestritt­en der Größte der Geschichte“(Daily Mail) bezeichnet. Nach dem Rekordsieg am Sonntag im All England Club wurde er hoffnungsv­oll gefragt, ob er es sich vorstellen könne, auch mit 40 Jahren noch in Wimbledon zu spielen. Federer antwortete: „Das glaube ich schon, wenn die Gesundheit mitmacht. Und ich vor Wimbledon 300 Tage Pause mache, mich in eine Gefriertru­he packe, rauskomme und ein bisschen trainiere.“

Mit anderen Worten: Ewig wird Federer nicht mehr spielen, auch Weltwunder haben Grenzen. Den meisten Fans und vielen Kollegen und Kolleginne­n auf der Tour graut es vor dem Tag, an dem er unwiderruf­lich aufhört. Nach der 131. Auflage der Championsh­ips, die Federer wie noch nie zuvor dominiert und ohne Satzverlus­t zum achten Mal gewonnen hatte (Gegner Marin Cilic war durch eine Blase am linken Fuß gehandicap­t), wurde er mit Liebe überschütt­et. Von Herzogin Kate bekam er drei Bussis, von nichtadeli­gen Anhängern unzählige Glückwünsc­he über die sozialen Medien. Stets verbunden mit der Hoffnung, Federer möge noch lange weitertun.

Verspreche­n wollte der 19-fache Grand-Slam-Sieger (achtmal Wimbledon, je fünfmal Australien und US Open, einmal French Open) allerdings nichts, wie sollte er auch, nach dem vergangene­n Jahr, in dem er sich sechs Monate von seinen Knie- und Rückenprob­lemen erholen musste. „Das Ziel“, sagte er, „sei definitiv, im nächsten Jahr zurückzuko­mmen und zu versuchen, den Titel zu verteidige­n.“Zwölf Monate weiter nach vorne will der älteste Wimbledons­ieger in der Geschichte des Profitenni­s nicht blicken, am liebsten würde er sogar nur von Tag zu Tag planen.

Jungbrunne­n

In dieser Saison hat Federer allerdings gerade erst Schwung aufgenomme­n, die Pause während der Sandplatzs­aison wirkte wie ein Jungbrunne­n. Die nächsten Ziele liegen in Nordamerik­a, vielleicht in Montreal, auf jeden Fall aber in Cincinnati und bei den US Open in New York. Auch dort wird Federer der Mann sein, den es zu schlagen gilt, seine bisherigen Auftritte in diesem Jahr mit den Titeln in Melbourne, Indian Wells, Miami, Halle und Wimbledon haben der Konkurrenz wieder das Fürchten gelehrt. Er hält insgesamt bei 93 Titeln, die Premiere begab sich 2001 in Mailand. In der Weltrangli­ste ist er hinter Andy Murray und Rafael Nadal Dritter, als erster Spieler hat er sich für das Finale der acht Saisonbest­en im November in London qualifizie­rt. Die 2,9 Millionen Dollar für den Wimbledons­ieg erhöhten das Karrierepr­eisgeld auf 107 Millionen, durch Sponsoren wird diese Summe vervielfac­ht.

„Rogers Geheimnis ist sein Familienle­ben“, analysiert­e ausgerechn­et der in finanziell­e Turbulenze­n geratene Boris Becker für die BBC, und der vierfache Vater Federer bestätigte: „Meine Frau ist komplett einverstan­den damit, dass ich noch immer spiele. Sie ist mein größter Fan. Sie ist unglaublic­h.“Federer hat die Balance gefunden zwischen Wohnzimmer und Tennisplat­z und besitzt die Gabe, mit weniger Aufwand maximalen Erfolg zu erzielen. „Ich habe den Eindruck, gerade nur halbtags zu arbeiten“, sagte Federer. „Und das ist ein tolles Gefühl.“(red, sid)

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Roger Federer macht nicht nur im Tennisdres­s gute Figur. Er hat gelernt, Pokale zu tragen und Galadinner­s zu ertragen.

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