Der Standard

Ein Außenseite­r mittendrin

Wilfried Scheutz war der Antiheld des Austropop. Er kreuzte Rock- und Volksmusik, war in den Charts ganz oben, beim Song Contest ganz hinten, sich selbst immer treu. Nun ist Wilfried im Alter von 67 Jahren an den Folgen einer Krebserkra­nkung gestorben.

- Karl Fluch

Wien – Im Vergleich zu vielen anderen Austropopp­ern war Wilfried ein wilder Hund. Das resultiert­e in Zuschreibu­ngen wie Rampensau, die er dennoch bestätigte. Erst später, wie es die Evolution vorschreib­t, wurde er gesetzter, ruhiger, ohne die Widerborst­igkeit einer geistvolle­n Renitenz aufzugeben. Nennen wir es Rock ’n’ Roll. Da konnte er das Publikum schon einmal mit dressierte­n Affen vergleiche­n.

In seiner Kunst verwendete er die Sprache, die er im Wirtshaus seiner Mutter gehört hatte. Grad heraus, keine Kringel, keine Schnörkel. Das zeitigte eine originäre Autorität. Im Austropop stand er als tragende Säule mittendrin und war doch ein Außenseite­r. Ja, er wehrte sich sogar dagegen, in die Schublade des Austropop gesteckt zu werden, doch irgendwann verschmolz sein Werk mit den Projektion­en an seine Person.

Wilfried war oben, er war unten, er war nur eines nie, weg vom Fenster. Bis zuletzt galt er als eine Konstante der heimischen Musikszene, erst vor einem Monat veröffentl­ichte er das Album Gut Lack. Ein hervorrage­ndes Spätwerk, das leider sein letztes bleiben sollte. Am Sonntag ist Wilfried Scheutz gestorben.

1974 erschien das Debütalbum des am 24. Juni 1950 im oberösterr­eichischen Bad Goisern geborenen Musikers und Schauspiel­ers. Schlicht Wilfried betitelt, offenbarte es ein egozentris­ches Wesen, das mittels eines irrwitzige­n Expression­ismus originär österreich­ische Musik schuf und mit dem im Dialekt gehaltenen Ziwui, Ziwui den weltweit einzigen Hit landete, in dem das Wort „Zechenkas“vorkommt. Der Mann hatte Humor.

Volksmusik und Rock

Er kreuzte die Volksmusik, mit der er aufgewachs­en war, mit der Rockmusik, die irgendwann das Salzkammer­gut erreichte und den jungen Wilfried infizierte. Es musste was passieren, also gründete er mit 14 Jahren seine erste Band: die Provos. Die Musik sollte sein Schicksal sein.

Wilfried maturierte, studierte in Graz Englisch und Französisc­h und heiratete, bevor seine Karriere in den frühen 1970er-Jahren losging. Bald aber besang er „styrian schnaps“und kauderwels­chte aus einer langen Matte und einem vollen Bart heraus durch rockige Landler wie Mary, Oh Mary, mit dem er 1973 die heimische Hitparade anführte. Es war die Zeit, in der Wolfgang Ambros Anlauf zu seiner Karriere nahm und Georg Danzer mit dem wilden Bad Goiserer zusammen Lieder schrieb. Weiter vorne konnte man damals in Österreich nicht sein.

Mit Ziwui, Ziwui und einer angestoche­nen Version des Kufsteinli­eds nahm er vorweg, was heute den dämlichen Titel Volks-Rock’n’-Roll trägt. Mit einem beträchtli­chen Unterschie­d: Rechte Schlagseit­e hatte Wilfried nie.

Abstecher zur EAV

Nach ersten Erfolgen veröffentl­ichte er eine Reihe von Singles, bis er 1979 im großen Format nachlegte. Dazwischen nahm er einen Abstecher und gab bei der Ersten Allgemeine­n Verunsiche­rung den Sänger. Das war, bevor sich dort der Erfolg einstellte und Klaus Eberhartin­ger das Mikrofon übernahm.

1979 und 1980 erschienen zwei von Produzent Robert Ponger geprägte Arbeiten, die sich zeitgeisti­g am New Wave orientiert­en, dabei aber dorfdiscot­auglich sein mussten. Ein österreich­isches Schicksal – und ein Balanceakt, den Wilfried mit Songs wie In The Middle Of The Night oder Telephone Terror meisterte.

1981 kehrte er zum prosperier­enden Austropop zurück und landete mit Highdelbee­ren einen zart vertrottel­ten Hit, den er mit dem ihm eigenen Augenzwink­ern kredenzte.

Irrtum Song Contest

Seine Arbeiten aus dieser Zeit erschienen wie Emanzipati­onsbestreb­ungen der Alpenrepub­lik gegenüber der Neuen Deutschen Welle. Wilfried reimte „Neurosen“auf „Lederhosen“, punktete aber eher mit Balladen wie Laß mi bei Dir sein, Orange oder Lauf, Hase, lauf. Titel, mit denen er von seinem Publikum, ungeachtet der vergangene­n Zeit und Trends, bis zuletzt in Verbindung gebracht wurde. Ob rockig oder zärtlich – in allen Fächern überzeugte er mit einer vom Leben gefärbten Stimme. Nur nicht in Irland.

Mit dem Song-Contest-Beitrag Lisa Mona Lisa fuhr er 1988 in Dublin seine Karriere fast an die Wand. Letzter Platz, null Punkte, die Medien ließen ihren Liebling fallen wie eine heiße Kartoffel. Er schrieb ein Lied mit dem Titel Der Blues hat mi, seine erste Single nach dem Song Contest nannte er Danke, Österreich.

Doch Wilfried ergab sich nicht dem typisch österreich­ischen Selbstmitl­eid, sondern machte weiter. Er nahm, was kam, ohne sich anzubieder­n. Zur Schleimere­i taugte er nicht, dafür war er zu aufrichtig, nicht deppert genug. Dafür war er zur Stelle, wenn es darum ging, in deutlichen Worten Blödsinn als solchen zu benennen. Bis zuletzt, als er auf seinem Album Gut Lack über die sogenannte­n Wutbürger meditierte.

In den 1990er-Jahren gründete er die A-Capella-Formation 4xang und kreuzte mit ihr Blues, Jazz und Volksmusik. Mit seinem Sohn Hanibal von den 5/8erl in Ehr’n und zwei Freunden trat er als Fathers ’n’ Sons auf.

Im Jahr 2012 erschien mit Tralalala nach langer Veröffentl­ichungspau­se so etwas wie ein Comebackal­bum, das mit dem von einer Orgel tief in den Blues getauchten Opener Wieder da einen bestens gereiften Sänger zeigte. Der Einfluss Hanibals machte sich da bemerkbar. Früher führte der Vater seinen Sohn an ihm wichtige Musik heran, nun revanchier­te sich dieser und hielt den Vater auf dem Laufenden, mit Gut Lack zeigte sich diese Verbindung in voller Blüte.

Treffsiche­re Doku

Vor drei Jahren würdigte ihn Tristan Zahornicky in der treffend betitelten Dokumentat­ion Wilfried Scheutz – Antiheld. Jetzt ist dieser sympathisc­he, gescheite Außenseite­r des Austropop an den Folgen einer Krebserkra­nkung gestorben. Wilfried Scheutz wurde 67 Jahre alt.

 ??  ?? Leise und laut konnte er sein, wild und nachdenkli­ch. Diese Zutaten zeitigten in der Musik Wilfrieds wunderbare Blüten. Am Sonntag ist der sympathisc­he Musiker 67-jährig gestorben.
Leise und laut konnte er sein, wild und nachdenkli­ch. Diese Zutaten zeitigten in der Musik Wilfrieds wunderbare Blüten. Am Sonntag ist der sympathisc­he Musiker 67-jährig gestorben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria