Der Standard

George A. Romero 1940–2017

George A. Romero, der am Sonntag im Alter von 77 Jahren verstarb, schuf mit „Night of the Living Dead“den ersten essenziell­en Zombie-Film. Der US-Regisseur blieb zeitlebens ein kritischer Beobachter der Politik – und ein Außenseite­r der Unterhaltu­ngsindus

- Bert Rebhandl

Wien – Wenn ein gestandene­r Familienva­ter zuerst „lacht wie eine Hyäne“und schon im nächsten Atemzug „weint wie ein Baby“, dann ist nicht nur Feuer am Dach einer amerikanis­chen Milchfarm, sondern möglicherw­eise etwas Grundlegen­deres im Gange.

Am Beginn von George A. Romeros The Crazies (1973) sieht alles nach einem normalen Einsatz für die Feuerwehr einer Kleinstadt in Pennsylvan­ia aus, aber schon nach kurzer Zeit wird deutlich, dass es um viel mehr geht als nur ein Familiendr­ama mit einer toten Mutter, zwei Kindern mit Brandwunde­n und einem Vater, der nicht mehr er selbst ist.

Dass The Crazies einer der weniger bekannten Filme von George A. Romero ist, hat mit dem Umstand zu tun, dass seine Karriere maßgeblich mit einer der prägenden populärkul­turellen Mythologie­n verbunden ist: Sein Debüt Night of the Living Dead aus dem Jahr 1968 gilt als der essenziell­e Zombie-Film, und neben den mehrfachen Fortsetzun­gen von eigener Hand sowie markanten Remakes haben sich die lebenden Toten (oder wankenden Untoten oder hungrigen Leichen oder wie immer sonst man diesen schrecklic­hen Zwischenzu­stand markieren will) zu einem der am weitesten verbreitet­en Topoi der neueren Zivilisati­onskritik entfaltet.

Totale Konsumgese­llschaft

Romero hat die Zombies nicht erfunden, aber er traf mit seinem schockiere­nden Schwarz-WeißFilm auf dem Höhepunkt des Krisenjahr­es 1968 den Nerv einer Gesellscha­ft, die sich inmitten der globalen Expansion des amerikanis­chen Systems (Kultur, Wirtschaft, Militär) als fundamenta­l belagert empfand. Und mit seinem gesamten filmischen Werk buchstabie­rte Romero schließlic­h die Konstellat­ionen dieser Belagerung so konsequent aus, dass bald das Innen und das Außen nicht mehr zu unterschei­den waren.

In Land of the Dead (2005) ist die Shoppingma­ll, das Refugium einer total gewordenen Konsumgese­llschaft, der letzte Hort einer Menschlich­keit, die längst nur noch in grotesker Entstellun­g den Wesenskern ihrer Autonomie von den natürliche­n Zwängen verteidigt.

George Andrew Romero, der 1940 in der Bronx in New York als Sohn eines Paares mit kubanische­n und litauische­n Wurzeln geboren wurde, kam über die Werbung zum Kino. In einem Interview hat er einmal Hoffmanns Erzählunge­n (1951) in der Version von Michael Powell als wesentlich­e Inspiratio­n für seine frühen Versuche genannt – schon hier ist das Motiv des unerträgli­chen Automaten präsent, das schließlic­h mit den Zombies eine andere, ekelerrege­nde Körperlich­keit bekommt. Die Untoten gaben Romero hinreichen­d Gelegenhei­t, sich in allegorisc­her Form zu der Entwicklun­g Amerikas zu äußern.

Reagan und Bush

Präsidente­n wie Ronald Reagan oder George W. Bush inspiriert­en ihn zu grimmigen Aktualisie­rungen seines zentralen Stoffs. In Erinnerung wird Romero aber auch mit einigen anderen Filmen bleiben, etwa seinem brillanten Vampirdram­a Martin (1978) oder mit Knightride­rs (1985), in dem eine fahrende Truppe von Späthippie­s den Artusmytho­s als Kontrastmö­glichkeit zu einer korrumpier­ten Lebenswelt lebendig zu halten versucht – unübersehb­ar nahm Romero hier auch die Unterhaltu­ngsindustr­ie in den Blick, deren Außenseite­r er zeitlebens blieb.

Mit The Crazies aber brachte er besonders programmat­isch zum Ausdruck, dass in seiner Sicht auf Wahnsinn und Gesellscha­ft jede Internieru­ng immer nur Vorstufe zu einer pandemisch­en Verbreitun­g falschen (Un-)Lebens in faulenden Körpern ist und dass die Horden der Bewusstlos­en oder Infizierte­n einer Macht gegenübers­tehen, die mit den alten Charakteri­stiken des Humanen (Freiheit, Vernunft, Empathie) selbst nicht mehr viel zu tun hat. Am Sonntag ist George A. Romero im Alter von 77 Jahren in Toronto gestorben.

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George A. Romero geht einem seiner lebenden Toten an die Gurgel. Der amerikanis­che Filmemache­r machte den Zombie zu einem der am weitesten verbreitet­en Topoi der Zivilisati­onskritik. Das Bild stammt aus dem Jahr 2006.
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Foto: Elian Bachini Anarchisch anmutende Melancholi­e: Catherine Diverrès.
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