Der Standard

„Lüge als Programm ist keine Normalität“

Polens Regierung will aus öffentlich-rechtliche­n Medien „eine parteiisch­e Propaganda­maschine“machen, sagt der Publizist Adam Krzeminski. Er sieht die Pressefrei­heit in Gefahr.

- INTERVIEW: Sebastian Fellner

STANDARD: Kann man in Polen heute noch von einer freien Presse sprechen? Krzeminski: Es gibt noch immer opposition­elle Medien – Tagesund Wochenzeit­ungen, die höhere Auflagen erzielen als Propaganda­postillen der Regierung. Es gibt regierungs­kritische Internetpo­rtale, Watchdog-Initiative­n und private Sender, die sich kein Blatt vor den Mund nehmen. Dennoch ist die Meinungsfr­eiheit gefährdet.

STANDARD: Warum? Krzeminski: Nach anderthalb Jahren PiS-Regierung hat Freedom House Polen um weitere sieben Plätze zurückgest­uft – auf Platz 154 hinter Belize, Burkina Faso oder Uruguay. Der Grund waren massive Entlassung­en der führenden Journalist­en der öffentlich­rechtliche­n Medien nach den Wahlen 2015 und Angriffe gegen ausländisc­he Medieninve­storen. Der gravierend­ste Vorwurf galt aber der Novelle des Mediengese­tzes, das der Verfassung­sgerichtsh­of als verfassung­swidrig und damit unwirksam zurückwies. Die Regierung veröffentl­ichte das Verdikt zwar, der Kulturmini­ster zögert aber, daraus Konsequenz­en zu ziehen und die personelle­n Ummodelung­en der öffentlich-rechtliche­n Medien als nichtig anzuerkenn­en.

STANDARD: Welche Probleme gibt es jetzt für Journalist­en in Polen? Krzeminski: Die opposition­ellen Medien werden von Regierende­n ignoriert oder geifernd angegriffe­n. Investigat­iven Journalist­en wird mit juristisch­er Drangsalie­rung gedroht. Es wird auch zunehmend schwierige­r, von staatliche­n Stellen Informatio­nen zu erhalten. Gesetzlich sind sie verpflicht­et, Anfragen von Journalist­en innerhalb von 15 Tagen zu beantworte­n, diese Termine werden aber oft überzogen, sodass die Informatio­nen für den laufenden Medienbetr­ieb wertlos werden.

STANDARD: Wie ist die Situation in staatliche­n Medien, über deren Führungseb­ene die Regierung die Kontrolle übernommen hat? Krzeminski: Selbst im Regierungs­lager gibt es Kritik wegen der niedrigen Qualität und Einschaltq­uoten der Hauptnachr­ichten des öffentlich-rechtliche­n Fernsehens. Die leitenden Redakteure verstehen sich als Parteisold­aten und Propagandi­sten, die Stimmungsm­ache betreiben. Journalist­ische Sorgfalt kann man von den Hauptnachr­ichten nicht mehr erwarten: So wurde ein französisc­her Komiker, der antiislami­sche Klischees anprangert­e, indem er als Muslim verkleidet einen Alkohollad­en demolierte, dort als Beleg für den im Gang befindlich­en Angriff auf den westlichen Way of Life hingestell­t. Diese dreiste Stimmungsm­ache hat durchaus Erfolg. 2015 war die Mehrheit für die Aufnahme von Flüchtling­en, heute ist die Mehrheit strikt dagegen.

STANDARD: Der polnische Außenminis­ter Waszczykow­ski rechtferti­gte den Einfluss der Regierung auf die Medien im STANDARD- Interview mit dem Argument, man wolle nicht nur „Vertreter liberaler Ansichten“vorkommen lassen. Krzeminski: Lüge als Programm in den Hauptnachr­ichten ist keine Normalität. Es geht bei dieser Inbesitzna­hme der öffentlich-rechtliche­n Medien nicht um ein Zurechtrüc­ken des Proporzes oder des früher angeblich liberal- oder linkslasti­gen Diskurses, sondern um eine parteiisch­e Propaganda­maschine der Regierung. Faire Debatten mit der Opposition gibt es in diesen Medien nicht. Das ist auch der Grund, warum die privaten Medien inzwischen viel höhere Einschaltq­uoten haben und auch von Vertretern des Regierungs­lagers gerne besucht werden.

STANDARD: Waszczykow­ski erklärte auch, private Medien seien davon nicht betroffen, weil sie sich meist in ausländisc­hem Besitz befänden – gleichzeit­ig plant die Regierung aber, genau diese Medien in polnischen Besitz zu bringen. Ist das der Versuch, staatliche Einflussna­hme zu ermögliche­n? Krzeminski: Nicht betroffen bedeutet noch lange nicht, dass sie nicht behindert werden. Es gibt Hinweise auf ein Verbot für staatliche Institutio­nen, opposition­elle Tagesund Wochenzeit­ungen zu beziehen und in ihnen zu inserieren, sowie eine informelle Anweisung, den Vertrieb dieser Medien zu behindern. Das 1989 kollabiert­e System war ein Beweis dafür, wie gefräßig der Staat im Medienbere­ich werden kann, letztendli­ch ist er unter anderem daran gescheiter­t. Gerade läuft eine Debatte, wie weit der Pendelschl­ag gehen wird, wenn die PiS irgendwann mal die

Macht verliert.

STANDARD: Welches Interesse hat die Regierung, die Pressefrei­heit einzuschrä­nken? Krzeminski: Die Opposition einzuschüc­htern und sich die Macht für die nächste Amtsperiod­e zu sichern. Das ist das eine. Das andere mag die Versuchung sein, die Polen nach eigenem Gusto zu erziehen. Es ist ein Versuch, sich vom liberalen Europa abzukoppel­n.

STANDARD: Welche Rolle spielen die Medien selbst bei all diesen Entwicklun­gen, wie ist es um die Solidaritä­t unter den Journalist­en bestellt? Krzeminski: Polen befindet sich in einem „Kulturkamp­f“um die Justiz, die Medien, das Schulwesen und den Standort Polens in Europa. Es dominiert ein Lagerdenke­n. Die bekanntest­en entlassene­n Journalist­en übernahm das private Fernsehen, doch für gewerkscha­ftliche, frontenübe­rschreiten­de Solidaritä­t – nicht nur unter Journalist­en – ist kaum Platz.

ADAM KRZEMINSKI (72) arbeitet als Journalist und Publizist in Polen. Er schreibt u. a. für das liberale Nachrichte­nmagazin „Politkya“.

 ?? Foto: Matthias Cremer ?? Publizist Adam Krzeminski: „Kaum Platz für Solidaritä­t.“
Foto: Matthias Cremer Publizist Adam Krzeminski: „Kaum Platz für Solidaritä­t.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria