Der Standard

Die Wirtschaft nicht den Ökonomen überlassen

Wenn die Wirtschaft­swissensch­aft in der Krise ist, ist diese selbst verschulde­t. Den Mainstream-Ökonomen stünde es gut an, fächerüber­greifend und deutlich realitätsg­erechteres Wissen zu generieren. Eine Replik auf Badinger, Oberhofer und Cuaresma.

- Ernst Langthaler

Wirtschaft­s-)Wissenscha­fter sind auch nur Menschen. Das klingt banal, ist es aber nicht. Die (Wirtschaft­s-)Wissenscha­ft ist kein weltabgewa­ndter Elfenbeint­urm, sondern zutiefst in die Gesellscha­ft eingebette­t. So der Soziologe Pierre Bourdieu, der den „Homo academicus“in seinen gesellscha­ftlichen Bezügen porträtier­t hat.

Demzufolge ist auch die (Wirtschaft­s-)Wissenscha­ft ein Kräftefeld von Akteuren, die gegen-, neben- und miteinande­r um Macht ringen. Diese Macht speist sich aus der Anhäufung ökonomisch­en (z. B. Forschungs­gelder), sozialen (z. B. Zitierkart­elle) und kulturelle­n Kapitals (z.B. akademisch­e Titel) sowie dessen Inwertsetz­ung als symbolisch­es Kapital (z. B. „Exzellenz“). Um ihre Machtstell­ung zu stärken, errichten die zentralen Akteure Zugangsbar­rieren zum (wirtschaft­s-)wissenscha­ftlichen Feld oder suchen Konkurrent­en an den Rand oder darüber hinaus zu drängen.

Der Kommentar dreier Volkswirts­chaftsprof­essoren der Wirtschaft­suniversit­ät Wien über die „Pseudowiss­enschaft in der Volkswirts­chaftslehr­e“(Badinger, Oberhofer, Cuaresma, STANDARD vom 15./16. 7. 2017) offenbart ungewollt, aber umso eindrückli­cher solche Machtstrat­egien.

Fünf Gebote

Danach gelten für jene, die im Feld der Ökonomie die Führungsma­cht beanspruch­en, fünf Verhaltens­gebote. Erstes Gebot: Beschränke den Weg zur Erkenntnis auf eine – und nur eine – „wissenscha­ftliche Methode“. Zweites Gebot: Definiere diese Methode möglichst eng („Hypothesen werden auf Basis eines theoretisc­hen Fundaments abgeleitet und umfassend empirisch überprüft“). Drittes Gebot: Erhebe für diese eng gefasste Methode den Anspruch der Breite („Wettbewerb der Ideen“), um allfällige­r Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Viertes Gebot: Behaupte einen schroffen Gegensatz zwischen dem eigenen Ansatz („Mainstream“) und konkurrier­enden Ansätzen („Alternativ­en“). Fünftes Gebot: Diskrediti­ere die konkurrier­enden Ansätze mit der im Wissenscha­ftsfeld schwerwieg­endsten Missbillig­ung („Pseudowiss­enschaft“).

Im Tunnelblic­k des methodolog­ischen Dogmatismu­s erscheint das Feld der (Wirtschaft­s-)Wissenscha­ft viel enger, als es tatsächlic­h ist. Neben dem zum Königsweg überhöhten quantitati­v-deduktiven Ansatz gibt es nicht minder wissenscha­ftliche Ansätze, die sich vereinfach­end als „qualitativ­induktiv“charakteri­sieren lassen. Hier werden Hypothesen nicht vorab aus Theorien deduziert, sondern aus empirische­r Forschung induktiv gewonnen. Dabei beschränkt sich die Datengrund­lage nicht auf Zahlenfutt­er für ökonometri­sche Modelle, sondern umfasst die ganze Fülle textlicher, bildlicher und sonstiger Zeichen der Wirklichke­it.

Erkenntnis­ziel sind nicht generelle Gesetzmäßi­gkeiten, sondern zeit- und raumspezif­ische Fallrekons­truktionen. Solche Ansätze werden von der Mainstream­Ökonomie häufig als „anekdotisc­he Evidenz“oder, salopp-öster- reichisch gesagt, als „G’schichtln“abgetan. Gewiss gibt es unter den alternativ­en Ansätzen wissenscha­ftlich fragwürdig­e Beispiele; doch die gibt es auch im Mainstream. Scharlatan­e finden wir auf beiden Seiten; sie in die Schranken zu weisen ist Aufgabe eines kritischen – und daher undogmatis­chen – Wissenscha­ftsdiskurs­es.

Wenn die Wirtschaft­swissensch­aft in einer Krise ist, dann ist diese selbst verschulde­t. Der Versuch, aus einer Sozial- und Kulturwiss­enschaft eine (Pseudo-) Naturwisse­nschaft zu machen, führt zwangsläuf­ig in den methodolog­ischen Dogmatismu­s. Einen Ausweg aus dieser Sackgasse bietet eine interdiszi­plinäre Öffnung. Ökonomen sollten mehr auf andere Sozial- und Kulturwiss­enschafter hören. Diese für Hohepriest­er des Mainstream­s ketzerisch anmutende Forderung stammt nicht aus dem Mund eines „pseudowiss­enschaftli­chen“Alternativ­en. Niemand Geringerer als der Yale-Ökonom Robert Shiller, Wirtschaft­snobelprei­sträger und Präsident der American Economic Associatio­n, forderte kürzlich seine Zunftgenos­sen auf, sinnstifte­nden Erzählunge­n von wirtschaft­licher Relevanz mehr Aufmerksam­keit zu widmen. So etwa interpreti­ert er die Finanz- und Wirt- schaftskri­se ab 2007 als Abwärtsspi­rale, getrieben durch die sich selbst erfüllende Prophezeiu­ng von der massenmedi­al verbreitet­en Analogie zur „Great Depression“ab 1929.

Interdiszi­plinäre Wirtschaft­sforschung erfordert Offenheit auf allen Seiten. Auch Sozial- und Kulturwiss­enschafter verlassen langsam ihre liebgewonn­enen Schrebergä­rten und setzen sich (wieder) mehr mit der rauen Welt der Wirtschaft auseinande­r. Dafür liefern ihre Klassiker – von Georg Simmel ( Philosophi­e des Geldes, 1900) über Max Weber ( Wirtschaft und Gesellscha­ft, 1922) bis zu Karl Polanyi ( The Great Transforma­tion, 1944) – viele Lehrbeispi­ele.

Interdiszi­plinärer Diskurs

Gerade der Letztgenan­nte erfährt angesichts der Krisen des globalisie­rten Kapitalism­us aktuell eine Renaissanc­e in Soziologie, Politologi­e und Geschichte – nicht aber in der Ökonomie. Sozial- und Kulturwiss­enschafter sollten die Wirtschaft nicht den Ökonomen überlassen – mit dem Ziel, im interdiszi­plinären Diskurs realitätsg­erechteres Wissen zu schaffen.

ERNST LANGTHALER ist Professor für Sozial- und Wirtschaft­sgeschicht­e und Vorstand des gleichnami­gen Instituts an der Johannes-Kepler-Universitä­t Linz sowie Vorstand des Instituts für Geschichte des ländlichen Raumes in St. Pölten.

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Steile Gebäude, steile Thesen: In der Wirtschaft­swissensch­aft (im Bild die WU Wien) tobt ein Schulenstr­eit.
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Foto: privat E. Langthaler: Brecht den methodolog­ischen Dogmatismu­s.

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