Unzulässige Bevormundung
Die Nationalratspräsidenten nehmen sich wichtiger, als sie sind: In seltener Eintracht fordern Doris Bures von der SPÖ und Karlheinz Kopf von der ÖVP die Abgeordneten auf, sie mögen doch auf die zwei Nationalratssitzungen im Oktober unmittelbar vor der Wahl verzichten. Ihr Argument: Da würde ohnedies nichts Sinnvolles beschlossen, im schlimmeren Fall käme es so kurz vor dem Wahltermin vielleicht noch zu unüberlegten Beschlüssen, die für die Wähler teuer werden könnten.
Das ist eine unzulässige Einmischung in die Arbeit der Abgeordneten und ein Versuch, diese zu bevormunden. Das Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein der Mandatare aller Parteien – auch der eigenen – ist offenbar so gering, dass man Sitzungen lieber unterbindet, als sie zuzulassen. Ein Armutszeugnis für die Demokratie.
Selbstverständlich sollen die Sitzungen stattfinden, hoffentlich lassen sich die Klubchefs der Parteien hier vom Präsidium nichts dreinreden. Gerade in einer Zeit, in der das Parlament vom Koalitionszwang befreit ist, könnte das freie Spiel der Kräfte dazu beitragen, noch ein paar Beschlüsse jenseits der fein säuberlichen Trennung zwischen Regierung und Opposition herbeizuführen. Wenn Parteien für Vorhaben Mehrheiten suchen, die nicht zuvor von der Regierungsmehrheit ausgemacht oder in einem Ministerium vorgeschrieben wurden, ist das ein Zeichen eines lebendigen Parlamentarismus, wie er ohnedies viel zu selten praktiziert wird.