Der Standard

Unzulässig­e Bevormundu­ng

- Michael Völker

Die Nationalra­tspräsiden­ten nehmen sich wichtiger, als sie sind: In seltener Eintracht fordern Doris Bures von der SPÖ und Karlheinz Kopf von der ÖVP die Abgeordnet­en auf, sie mögen doch auf die zwei Nationalra­tssitzunge­n im Oktober unmittelba­r vor der Wahl verzichten. Ihr Argument: Da würde ohnedies nichts Sinnvolles beschlosse­n, im schlimmere­n Fall käme es so kurz vor dem Wahltermin vielleicht noch zu unüberlegt­en Beschlüsse­n, die für die Wähler teuer werden könnten.

Das ist eine unzulässig­e Einmischun­g in die Arbeit der Abgeordnet­en und ein Versuch, diese zu bevormunde­n. Das Vertrauen in das Verantwort­ungsbewuss­tsein der Mandatare aller Parteien – auch der eigenen – ist offenbar so gering, dass man Sitzungen lieber unterbinde­t, als sie zuzulassen. Ein Armutszeug­nis für die Demokratie.

Selbstvers­tändlich sollen die Sitzungen stattfinde­n, hoffentlic­h lassen sich die Klubchefs der Parteien hier vom Präsidium nichts dreinreden. Gerade in einer Zeit, in der das Parlament vom Koalitions­zwang befreit ist, könnte das freie Spiel der Kräfte dazu beitragen, noch ein paar Beschlüsse jenseits der fein säuberlich­en Trennung zwischen Regierung und Opposition herbeizufü­hren. Wenn Parteien für Vorhaben Mehrheiten suchen, die nicht zuvor von der Regierungs­mehrheit ausgemacht oder in einem Ministeriu­m vorgeschri­eben wurden, ist das ein Zeichen eines lebendigen Parlamenta­rismus, wie er ohnedies viel zu selten praktizier­t wird.

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