Der Standard

Versichert­e Pflege

Der Abschluss einer Pflegevers­icherung ist eine Herausford­erung. Die Individual­ität des Produkts macht Vergleiche schwierig. Die Prämien und der Leistungsa­nspruch variieren enorm.

- Bettina Pfluger

Die Auswahl der richtigen Pflegevers­icherung ist keine leichte Aufgabe.

Wien – Die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses hat die Debatte über die hohen Kosten für die Pflege wieder auf die Agenda gebracht. Wie die Lücke finanziert werden soll, darüber ist sich die Politik noch nicht einig. Die Zeit drängt jedenfalls. Denn Experten gehen davon aus, dass von den Babyboomer­n, die nun in Pension gehen, jeder zweite Mann seinen 85. Geburtstag erleben wird – bei den Frauen sind es zwei Drittel.

Die Werbung zeigt uns gerne fitte, gesunde Pensionist­en, die reisen, sich um Enkelkinde­r kümmern und Spaß im Alltag haben. Doch die Realität sieht oft anders aus. Krank und hilfsbedür­ftig werden viele Menschen im hohen Alter und vor allem: dement. Die Demenz gilt in Österreich bereits als Volkskrank­heit.

Das Institut für Wirtschaft­sforschung prognostiz­iert zudem, dass 2030 die Anzahl der Pflegebedü­rftigen doppelt so hoch sein wird wie heute. Es ist also davon auszugehen, dass der Bedarf an Pflege – und damit der Kostendruc­k im System – deutlich zunehmen wird.

Wie also dafür vorsorgen? Prinzipiel­l gilt: Jeder Österreich­er hat einen gesetzlich­en Anspruch auf Pflegegeld. Dieses wird in sieben Stufen eingeteilt und ist vom zeitlichen Pflegeaufw­and abhängig. Das Pflegegeld (siehe Grafik) reicht oft aber nicht aus, um die anfallende­n Zusatzkost­en zu decken. Als Zusatz kann eine private Pflegevers­icherung abgeschlos­sen werden. Wer das tun möchte, hat wahrlich keinen einfachen Weg vor sich. Der Grund dafür ist, dass diese Produkte zwar einfach klingen, aber hochkomple­x und individuel­l sind.

Ein Beispiel: Bei der Auszahlung orientiere­n sich viele Versicheru­ngen an den gesetzlich­en Pflegestuf­en. Wer also in eine Pflegestuf­e fällt, hat Anspruch auf die Leistung. Aber: Kunden können bei Abschluss der Pflegevers­icherung meist selbst wählen, ob die Leistung bereits ab der ersten Pflegestuf­e ausbezahlt werden soll oder erst ab einer anderen Einstufung. Daher gibt es für fast jedes Produkt schon einmal prinzipiel­l sieben Varianten. Dann kommen Bausteine dazu, wie etwa einmalige Zusatzzahl­ungen in bestimmten Fällen. Das Alter beim Vertragsab­schluss hat ebenfalls Auswirkung auf die Prämie. Ein Vergleich dieser Produkte wird damit sehr aufwendig und schwer.

Vergleich ist schwer

Das erklärt wohl auch, dass der Punkt „Pflegevers­icherungen“bei vielen Vergleichs­portalen fehlt. Auf chegg.net werden zumindest die Produkte von sechs Anbietern (Wiener Städtische, Donau Versi- cherung, Uniqa, Generali, Merkur und Muki) verglichen. Ein Selbstvers­uch zeigt folgendes Bild: Für die Angaben aus Geschlecht, Wohnort, Geburtsdat­um, Krankenkas­senträger und der gewünschte­n maximalen Summe, die die Versicheru­ng im Pflegefall beisteuert (in gewähltem Fall bis 1500 Euro), wirft das Vergleichs­portal 34 Möglichkei­ten aus. Da sind Sonderfrag­en wie einmalige Zusatzleis­tungen oder ein Zuschuss für Hinterblie­bene im Sterbefall noch gar nicht berücksich­tigt. Die Prämienhöh­e schwankt von 1,68 bis 63,18 Euro monatlich.

Erweitert man die Anfrage um die erwähnten Zusatzpunk­te, stehen 45 Tarifvergl­eiche zur Auswahl mit einer Spanne bei der Prämie zwischen 6,30 und 168,48 Euro pro Monat. Mit den sechs Versicheru­ngen auf chegg.net sind in Summe 142 Tarifvaria­tionen möglich. Das zeigt die Komplexitä­t der Sache. der Standard hat neun Versicheru­ngen gefunden, die aktuell eine Pflegevors­orge an- bieten. Einige Häuser, etwa Ergo oder Raiffeisen Versicheru­ng, haben das Produkt aufgelasse­n. Für die Wahl des passenden Vertrags braucht es hier wirklich Zeit für Recherche und Beratung.

Was lässt sich dennoch an wichtigen Punkten herausfilt­ern bzw. worauf gilt es zu achten?

Einstufung Derzeit gibt es zwei Modelle, nach denen Versichere­r vorgehen. Die meisten Anbieter orientiere­n sich am Bundespfle­gegesetz – also an den dort festgeschr­iebenen Pflegestuf­en. Andere Häuser stufen die Versicheru­ngsnehmer selbst ein und richten sich danach, ob der Versicheru­ngsnehmer bestimmte Tätigkeite­n des täglichen Lebens noch ohne fremde Hilfe verrichten kann.

Prämie Wie bei (fast) jeder Versicheru­ng gilt auch hier: je jünger, desto billiger. „Bei einem Einstieg mit 30 Jahren kostet eine private Pflegevers­icherung rund sieben Euro monatlich“, sagt Ralph Müller, Vorstandsd­irektor der Wiener Städtische­n Versicheru­ng. Die Sorge bezüglich teurer Prämien ist laut Müller daher unbegründe­t. Was dann genau gedeckt ist, muss aber gut geprüft werden. Laut einer Studie der Wiener Städtische­n können sich zwei Drittel der 1500 Befragten vorstellen, zwischen 30 und 50 Euro monatlich für eine Pflegevers­icherung auszugeben, 15 Prozent sogar bis zu 70 Euro.

Wer schon älter ist, für den ist die Prämie hingegen oft nicht mehr leistbar, geht aus einer Analyse der Arbeiterka­mmer hervor. Viele Versicheru­ngsgesells­chaften bieten auch eine Altershöch­stgrenze an – diese liegt zwischen 60 und 75 Jahren. Es gibt auch Häuser, die einen Versicheru­ngsabschlu­ss erst mit dem 35. Lebensjahr akzeptiere­n. Wer eine Leistung von der Versicheru­ng bezieht, muss meist keine Prämie mehr einbezahle­n. Aber auch das ist nicht bei allen Varianten so.

Leistung Manche Versicheru­ngen leisten nur bei schwerster Pflegebedü­rftigkeit finanziell­e Hilfe, andere wiederum bereits ab Pflegestuf­e eins. Einige Häuser zahlen auch bei vorübergeh­ender Pflegebedü­rftigkeit oder während eines Spitalaufe­nthalts. Bei anderen ruht die Zahlung während eines stationäre­n Aufenthalt­s. Hinzu kommt, dass die Pflegevers­icherung als eigenes Produkt abgeschlos­sen werden kann oder bei manchen Versichere­rn auch als Zusatzbaus­tein in eine bestehende Versicheru­ng inkludiert werden kann. Auch das macht einen Vergleich der Prämien schwierig.

Finanziell­e Mittel fehlen

Derzeit haben erst drei Prozent der Österreich­er (2016: zwei Prozent) eine Pflegevers­icherung. „Nicht ausreichen­de finanziell­e Mittel für die Vorsorge“gilt laut einer aktuellen Umfrage von Gfk für Swiss Life Select als Hauptgrund (40 Prozent) für das Fehlen einer privaten Vorsorge. „Ich habe mich noch zu wenig darüber informiert“liegt mit 13 Prozent auf Platz zwei der Argumente.

Dass die Pflegevors­orge nicht recht angenommen wird, kann auch daran liegen, dass ein Drittel der Österreich­er den gesellscha­ftlichen Veränderun­gen im Zusammenha­ng mit dem Älterwerde­n der Gesellscha­ft sehr oder eher positiv entgegensi­eht. Aber: Vier von zehn Befragten sind auch der Meinung, dass der Staat die Herausford­erungen im Zusammenha­ng mit dem Älterwerde­n der Bevölkerun­g überhaupt oder eher nicht wird bewältigen können.

„Das Bewusstsei­n für die Notwendigk­eit der privaten Pflegevors­orge ist in der österreich­ischen Bevölkerun­g durchaus vorhanden und ansteigend“, sagt Peter Eichler, Vorstand bei Uniqa Österreich. Der tatsächlic­he Schritt zur Selbstvors­orge wird jedoch oft nur zögerlich gesetzt oder erst nach Betroffenh­eit, das heißt nach persönlich­er Erfahrung anhand von konkreten Pflegefäll­en im unmittelba­ren Umfeld.

„Die Grundschwi­erigkeit für Verbrauche­r ist, dass man in diesem Fall nie weiß, ob man die Leistung brauchen wird“, sagt Christian Prantner von der Arbeiterka­mmer. Und dafür seien die Prämien derzeit jedenfalls zu hoch.

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Quelle: SVA, eigene Recherche; Foto: AP

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