Der Standard

Eigentlich soll London mit der EU über den Brexit verhandeln. Stattdesse­n wird im Kabinett gestritten. Heute, Donnerstag, will Brexit-Minister Davis mit EU-Mann Barnier übers Geld streiten.

- Sebastian Borger aus London

Wäre es nicht viel schöner, eine Prinzessin zu sein als Premiermin­isterin? Dann bekäme Theresa May dauernd Blumen überreicht, wie gestern die Royals Kate und Charlotte bei ihrer Ankunft in Berlin. Ihre öffentlich­en Gespräche bestünden entweder aus freundlich­em Smalltalk oder der gegenseiti­gen Versicheru­ng, wie lieb sich Briten und Deutsche/Polen/Holländer trotz des Brexits doch eigentlich haben.

Stattdesse­n musste sich die konservati­ve Regierungs­chefin auch am Mittwoch wieder mit den impertinen­ten Fragen von Opposition­sabgeordne­ten herumschla­gen. Sein Wahlkreis Coventry sei ja das Zentrum der Forschung nach dem fahrerlose­n Mobil, erläuterte der Labour-Abgeordnet­e Geoffrey Robinson und fügte unter dem Gejuchze seiner Fraktion hinzu: „Vielleicht will die sehr ehrenwerte Dame ihre Regierung nach Coventry verlegen?“

Die Anspielung auf den chaotische­n Eindruck, den das Kabinett in den vergangene­n Tagen hinterlass­en hat, überhörte die Konservati­ve genauso wie die Frage eines anderen Labour-Mannes, der provokant von Theresa May als Interimspr­emier und von deren temporärem Finanzmini­ster Philip Hammond sprach.

Spitze weiter uneinig

In Wirklichke­it wirkt die vor sechs Wochen von der Wählerscha­ft abgestraft­e Tory-Minderheit­sregierung insgesamt wie ein Unternehme­n auf Zeit, dem auch die teuer erkaufte Unterstütz­ung durch Nordirland­s Unionisten nicht wirklich geholfen hat.

Hauptgrund für die täglich in den Medien ausgetrage­nen Kabinettss­treitigkei­ten ist Großbritan­niens Ausstieg aus der EU. Offiziell begannen am Montag in Brüs- sel die ersten echten Verhandlun­gen zwischen dem 98 Menschen starken Team Großbritan­nien und EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier. In Wirklichke­it wachsen auf dem Kontinent die Zweifel, ob die Briten selbst eigentlich wissen, welche Ziele sie haben.

Die bei sechs verschiede­nen Londoner Ministerie­n bestehende­n 18 Arbeitsgru­ppen begnügen sich offenbar bisher weitgehend mit Problembes­chreibunge­n – Lösungsvor­schläge halten die Beamten wohl für problemati­sch, solange sich die politische Spitze nicht einig ist.

Offiziell gilt weiterhin Theresa Mays harter Brexit-Kurs mit Aus- tritt aus Binnenmark­t und Zollunion. Auf Drängen der Wirtschaft­sverbände legen sich aber Hammond und Wirtschaft­sminister Greg Clark für mindestens zweijährig­e Übergangsr­egelungen ins Zeug, in denen die Bestimmung­en des Binnenmark­tes weiterhin gelten sollen.

Dies bekämpfen EU-Feinde wie Boris Johnson, Andrea Leadsom und Michael Gove. Brexit-Minister David Davis gibt sich hingegen in letzter Zeit pragmatisc­her, offenbar in der Hoffnung, die angeschlag­ene May in der Downing Street beerben zu können.

Prompt richten die Brexit-Fanatiker ihr Feuer nicht mehr auf Hammond, sondern auf Davis: Der sei „eine faule Kröte, dämlich wie Hackfleisc­h und eitel wie Narziss“, hat ein enger früherer Mitarbeite­r des als intrigant bekannten Umweltmini­sters Gove zu Protokoll gegeben.

Ohnehin herrscht unter Tories beim Thema Brexit ein rauer Umgangston: Gegenseiti­g bezeichnen sich die Adepten des harten und weichen Brexits als „Arschlöche­r“(„fuckers“) und „Wichser“(„wankers“).

Schlagabta­usch ums Geld

Die Kämpfe in den Medien müssten aufhören, mahnte May am Dienstag im Kabinett, sonst werde ihr Erbe am Ende LabourMann Jeremy Corbyn sein. Der neuerdings sehr selbstbewu­sst auftretend­e Labour-Opposition­sführer tadelte im Unterhaus milde „Zank und Verleumdun­gen im Kabinett“und eine „zerstritte­ne Regierung ohne Führungskr­aft“, worauf May die Patriotism­uskarte zog: Corbyn mache das Land schlecht. Gelächter im Saal.

Mühsam schleppt sich die Regierungs­chefin in die am Freitag beginnende­n Parlaments­ferien. Beim Wanderurla­ub in der Schweiz will sie über den Sommer neue Kraft tanken. Vielleicht findet sich dort eine gnädige Seele, die der erschöpfte­n Engländeri­n einen Blumenstra­uß überreicht wie den Prinzessin­nen dauernd in Berlin, Heidelberg und Hamburg. Brexit-Minister Davis hingegen muss sich heute, Donnerstag, auf einen heftigen Schlagabta­usch gefasst machen.

Am Ende der ersten echten Verhandlun­gswoche geht es in Brüssel um Großbritan­niens ausstehend­e Finanzverp­flichtunge­n gegenüber der EU.

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