Der Standard

Die Wohnwelt im Puppenhaus begreifen

Mühlviertl­er Tischlerin hat sich auf blinde Kunden spezialisi­ert

- Markus Rohrhofer

Linz – „Der Weg is’ wurscht, Hauptsache, er führt ins Mühlvierte­l“– auf fast peinliche Fragen unwissende­r Städter, welche Route nun eigentlich die schnellste nach Reichentha­l wäre, kennt Rita Katzmaier nur eine Antwort. Doch eigentlich finden viele zu der Tischlerei im oberen Mühlvierte­l ohnehin blind hin. Rita Katzmaier und ihr zehnköpfig­es „Einrichtun­gsteam“haben sich nämlich – als einzige Tischlerei in Österreich – auf Kunden mit Sehbehinde­rungen spezialisi­ert.

„Meine Blinden“nennt die Mühlviertl­er Unternehme­rin ihren ganz speziellen Kundenkrei­s gern liebevoll. Es offenbart die emotionale Bindung: „Mir geht es da nicht um einen lukrativen Geschäftsz­weig, es ist eine echte Herzensang­elegenheit für mich.“

Unsicherhe­it als Impuls

Alles beginnt mit einem Besuch bei einem blinden Kunden vor gut zwanzig Jahren: „Ich bin mit meinem Vater, der damals noch das Unternehme­n führte, dort hingefahre­n – und wollte in der Haustüre gleich wieder umdrehen. Ich habe überhaupt nicht gewusst, wie ich mit der Situation umgehen soll.“

Doch umdrehen und wegschauen entspricht so gar nicht dem Naturell der Firmenchef­in, dreifachen Mutter und ehrenamtli­chen Rettungssa­nitäterin. Mit der Übernahme des 1860 gegründete­n Tischlerei­betriebs, der immer in Frauenhand war, vor etwa 15 Jahren positionie­rt die 40-jährige Tischlerme­isterin das Unternehme­n als Einrichtun­gshaus für Blinde und Sehende.

Und Katzmaier wird dadurch auch zur Modellbaue­rin: „Pläne, Animatione­n am Computer und Prospekte kann man bei blinden Kunden gleich einmal vergessen. Wir fertigen Modelle ganzer Räume im Maßstab 1:10 an.“Begreifbar­e Möbel nennt die Tischlerin ihre liebevoll gestaltete­n Puppen- häuser. Bei den Materialie­n setzt die Mühlviertl­erin stark auf jene Holzarten, die eine ausgeprägt­e Oberfläche­nstruktur und damit eine ideale Haptik mitbringen. Und es gehe immer darum, Gefühle zu wecken. Katzmaier: „Versuchen Sie einmal, die Farbe Hellblau einem Menschen zu beschreibe­n, der noch nie zuvor den Himmel und das Meer sehen durfte. Das funktionie­rt nur, wenn Sie Emotionen wecken.“So ist eben dann Dunkelrot „eine Farbe wie guter Rotwein“.

Geschult ist in dem Mühlviertl­er Traditions­betrieb, der im Jahr gut eine Million Euro Umsatz macht, aber nicht nur die Chefetage. „Ohne mein Team würde es nicht gehen. Und wir mussten alle dazulernen. Nicht nur im direkten Kontakt, auch im Handwerker­alltag. Du kannst zum Beispiel in der Wohnung eines blinden Kunden nicht den Montagekof­fer mitten im Raum stehen lassen“, erzählt Katzmaier im Standard- Gespräch.

Und weil viele Blinde oft nicht nur ein neues Möbelstück benötigen, sondern gleich eine komplette Wohnberatu­ng, kümmert sich Katzmaier auch um den passenden Teppich und das perfekte Wohnzimmer­bild. Hier kooperiert die Unternehme­rin mit einer Künstlerin aus Bad Ischl, die begreifbar­e Bilder malt.

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An einem Wohnmodell für blinde Kunden bastelt die Mühlviertl­er Handwerker­in bis zu drei Stunden. Nach der Umsetzung werden diese Kindergärt­en gespendet.

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