Der Standard

„Die deutsche Sprache ist mein Recherchei­nstrument“

Liat Fassberg hat den Retzhofer Dramapreis 2017 gewonnen und damit auch eine Uraufführu­ng am Burgtheate­r. Ihr Stück „Etwas kommt mir bekannt vor“erzählt von einer Busfahrt durch Europa.

- INTERVIEW: M. Affenzelle­r

STANDARD: Vielsprach­igkeit ist zentral in Ihrem Stück. Sie wurden in Jerusalem geboren, schreiben jetzt auf Deutsch. Mit welchen Sprachen sind Sie aufgewachs­en bzw. was ist Ihre Mutterspra­che? Fassberg: Hebräisch und Englisch. Wir wohnten zur Zeit meiner Einschulun­g in den USA, das war prägend. Mit meiner Mutter, die aus Südafrika stammt, habe ich als Kind viel Englisch gesprochen.

STANDARD: Sie haben also zwei Mutterspra­chen? Fassberg: Heute würde ich das so sagen. In Israel empfand ich immer Hebräisch als meine Mutterspra­che. Mittlerwei­le denke ich auch in anderen Sprachen und wechsle im Sprechen hin und her.

STANDARD: Wie haben Sie zu Ihrer schriftlic­hen Sprache gefunden? Fassberg: Im Fall des Stücks war es eine Entscheidu­ng für die Basissprac­he Deutsch, da es im deutschen Sprachraum entstanden ist und erstaufgef­ührt wird. Die jeweilige Sprache hängt immer von der Szene ab, welche Frage sie antreibt. Es gibt zum Beispiel eine Szene, die für mich nur auf Deutsch funktionie­rt, weil die deutsche Sprache in diesem Fall über das geeignete „Spielzeug“verfügt. Die Szene auf Hebräisch ist wiederum mit meiner Geschichte in Israel verbunden.

STANDARD: Welchen Bezug haben Sie zu den anderen zwei Sprachen Italienisc­h und Türkisch? Fassberg: Ad Italienisc­h: Ich woll- te eine Figur haben außerhalb des deutschen Kulturkrei­ses. Sie setzt sich ständig in Opposition zum „Deutschen“und markiert sich selbst stark als Ausländeri­n. Das habe ich auf Englisch geschriebe­n, und es wurde ins Italienisc­he übersetzt. Die türkische Szene basiert auf der Novelle eines israelisch­en Autors, die von der Türkei handelt. Ich habe nach einem mythischen Klang gesucht, der sich durch das Türkische einlöst.

STANDARD: Autorinnen und Autoren, die zwei- oder mehrsprach­ig aufgewachs­en sind, sind derzeit gefragt. Etwa Ihre direkte Vorgängeri­n beim Retzhofer Dramapreis, Miroslava Svolikova, oder Ibrahim Amir oder Simon Stone. Warum ist das so? Gehen Sie reflektier­ter vor, wenn Sie auf Deutsch schreiben? Fassberg: Es ist, als würde ich hinter den Spiegel der Sprache schauen. Ich stelle mir im Deutschen Fragen, die ich mir in den Mutterspra­chen nicht so oft stelle: Wie funktionie­rt das Verb in diesem Satz, wie klingt er, wie wirkt das Gesprochen­e auf einen Körper? Für mich ist es noch komisch, dass ich auf Deutsch schreibe, denn meine tiefsten Gedanken und Gefühle kommen natürlich auf Hebräisch aus mir heraus. Das Deutsche ist vielmehr mein Recherchei­nstrument, eine Sprache, die man korrigiere­n und präzisiere­n muss. Manchmal kläre ich Bedeutungs­möglichkei­ten mit deutschspr­achigen Freunden ab. Das Deutsche ist also vielmehr eine analysiert­e Sprache.

STANDARD: Inwiefern hat Sie Ihre Tätigkeit als Dramaturgi­n beim Schreiben beeinfluss­t? Fassberg: Es ist von Vorteil, dass ich selbst schon viele Stücke gelesen und betreut habe. Ich wusste nur, ich möchte mich keinen Konvention­en unterwerfe­n, also nicht zwangsläuf­ig eine Handlung von A nach B erzählen. Wichtig war mir zunächst nur, dass jede Szene ein konkretes Thema hat. Als Dramaturgi­n betrachte ich ein Stück als Menü von dramatisch­en Aktionen und Gesten, das es zu interpreti­eren gilt. Beim Schreiben hatte ich keinerlei Inszenieru­ngsfantasi­e. Das ist nicht meine Aufgabe als Autorin. STANDARD: Ihr Text ist poetisch. Er enthält Musik und Gedichtzei­len. Woher kommt Ihre Literatur? Fassberg: Gewöhnlich kommt sie von einem Satz, mit dem ich etwas herausfind­en möchte. Wir schöpfen nicht aus dem Nichts. Alles hat eine Tradition, ob wir es mögen oder nicht. Wichtig ist zu wissen, woher man kommt und wer uns zur Seite steht. Wer bereitete den Boden, auf dem ich arbeite?

STANDARD: In Ihrem Stück stehen Twitter-Passagen rätselhaft im Raum. Man weiß nicht, wer das sagt. Was steckt dahinter? Fassberg: Es sollte offenbleib­en, ob im oder außerhalb des Busses getwittert wird. Die Anonymität gibt uns die Möglichkei­t, sehr intime Dinge mit einer gesichtslo­sen Masse zu teilen, zugleich aber auch extrem gewaltsam oder rassistisc­h zu sein. Wer adressiert wen – das ist die offene Frage, auch im Text.

STANDARD: Ihre Figuren haben keine Namen, nur Sitzplatzn­ummern im Bus. Warum verweigern Sie sich konkreten Identitäte­n? Fassberg: Besonders in Europa, mehr als in Israel, ist die Identitäts­frage virulent und beschäftig­t Dramatiker sehr. Ich kann aber nur für mein Stück sprechen: Man sitzt im Bus mit fremden Menschen, die man nach den acht oder zwölf Stunden Fahrt wohl nie wieder sehen wird. Dabei erfassen wir flüchtige Blicke und bekommen höchstens Hinweise über die gesprochen­e Sprache, aber die Figuren bestehen zum Großteil aus unseren eigenen Projektion­en. Mich beschäftig­t: Wie wird man eine Figur, definiert durch die Sichtweise­n der anderen. Es geht nicht um diesen einen deutschen Vater, verheirate­t mit einer türkischen Frau und einem bilingual erzogenen Kind. Es geht nicht um ihn, sondern darum, was wir oder die Gesellscha­ft in diesen Moment hineininte­rpretieren. Die Geschichte der Figuren bis zu diesem Moment ist nur insofern relevant, als sie das Verhalten der Figur erklärt. Alles andere ist – im Gegensatz zur Prosa – im Drama nicht relevant. Wenn man für das Theater schreibt, schreibt man Repräsenta­tionen, das ist gefährlich, sie können sehr einseitig sein.

STANDARD: Aus dem Bus sind Flüchtling­e herausgeho­lt worden. Dieses Ereignis bleibt sehr vage. Fassberg: Das Ereignis existiert nur als vage Erinnerung, es bleibt eigentlich nur die Erinnerung an farbige Schuhe, nicht an die Person, die sie getragen hat. Die Erinnerung ist also instabil und voller Projektion­en. So funktionie­rt auch das Herstellen von Identität: Jemand betritt den Raum, und sofort beginnt man zu projiziere­n. Die Repräsenta­tion von Identitäte­n steckt voller Fallen.

LIAT FASSBERG, 1985 in Jerusalem geboren, studiert nach einem in Tel Aviv abgeschlos­senen Theater wissen schaftsstu­dium Dramaturgi­e an der Goethe-Uni Frankfurt. Sie arbeitet als Dramaturgi­n und gibt mit „Etwas kommt mir bekannt vor“ihr Debüt als Autorin (Retzhofer Dramapreis 2017). Das Stück wird 2017/18 am Burgtheate­r uraufgefüh­rt.

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Liat Fassberg: „Wie wird man eine Figur, definiert durch die Sichtweise­n der anderen?“

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