Der Standard

Die EU in der Selbstvert­eidigung

Die Bedrohung des Rechtsstaa­ts in Polen rechtferti­gt einen Stimmrecht­sentzug

- Alexandra Föderl-Schmid

Es ist nicht so, dass die EU-Kommission nichts getan hätte. Sie hat in dem seit Jänner 2016 schwelende­n Streit mit Polen um die Justizrefo­rm bereits ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren eingeleite­t und vor weiteren Schritten gewarnt. Doch die Regierung zeigte sich unbeeindru­ckt und wollte im Eilverfahr­en ihre weiterführ­enden Pläne in beiden Kammern, in denen die rechtsnati­onale PiS die Mehrheit hat, durchpeits­chen.

Zwar werden auch in Österreich etwa die Mitglieder des Verfassung­sgerichtsh­ofs auf Vorschlag der Bundesregi­erung, des Nationalra­ts oder des Bundesrats ernannt. Aber das polnische Modell ist weitreiche­nder als in anderen EU-Staaten: Bisher ging es vor allem um das Verfassung­sgericht, nun will die Regierung sogar auf die Besetzung aller Richter im Land – inklusive jener des Obersten Gerichtsho­fs – Einfluss nehmen. Mit einer zusätzlich installier­ten Disziplina­rkammer hätte das Justizmini­sterium außerdem die Möglichkei­t, jeden Richter im Land abzuberufe­n – ohne Angabe von Gründen. Der Justizmini­ster könnte unliebsame Richter einfach absetzen und solche, die der Partei nicht passen, nicht ernennen.

Damit sind nicht nur politische­r Einflussna­hme und möglichem Missbrauch Tür und Tor geöffnet, sondern die Gewaltente­ilung wird ausgehebel­t. Selbst Präsident Andrzej Duda, häufig als Marionette der PiS-Führung bezeichnet, drohte mit Veto und spricht von „politische­m Diktat“. echtsstaat­lichkeit ist eine der Grundlagen, auf denen die EU beruht und an die sich alle 28 Mitgliedss­taaten zu halten haben. Die Kommission als Hüterin der Verträge, die auch gegen Polen schon mehrere Dutzend Vertragsve­rletzungsv­erfahren einleitete, musste auf diesen eklatanten Bruch des Grundprinz­ips der Gewaltente­ilung reagieren. Sie hat dies in der für sie schärfstmö­glichen Form getan. Dazu mögen auch Forderunge­n aus dem EU-Parlament und die massiven Protestakt­ionen der Bürger in Polen beigetrage­n haben .

Wegen der „systematis­chen Bedrohung der Rechtsstaa­tlichkeit“droht Brüssel, Artikel 7 auszulösen. Damit holt die Kommission die schwerste Waffe aus ihrem Bedrohungs­arsenal, denn im äußersten Fall könnte dies den Entzug der Stimmrecht­e des betreffend­en Mitgliedsl­andes zur Folge haben.

RSo weit wird es vermutlich nicht kommen, denn es lässt sich leicht voraussage­n, dass Ungarn dann Polen zur Seite springen und die schärfsten Sanktionen verhindern wird – auch aus Eigennutz. Denn erst vor einer Woche hat die EU-Kommission wegen des NGO-Gesetzes in Ungarn ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren eingeleite­t – mehr als 66 wurden bereits eröffnet. In der Vergangenh­eit schreckte Regierungs­chef Viktor Orbán doch immer wieder davor zurück, den Konflikt mit der Kommission auf die Spitze zu treiben. Die EU kann etwas bewirken, wenn sie denn handelt.

Die Kommission muss sich ohnehin die Frage stellen lassen, warum sie nicht schärfer auf die jüngsten Plakate reagiert hat, auf denen mit antisemiti­schen Anspielung­en George Soros in Ungarn diffamiert wurde.

Die EU geht mit ihrer Drohung, Polen das Stimmrecht zu entziehen, in die Selbstvert­eidigung. Was die PiS umsetzen will, ist eine rechte Rechtsrefo­rm. Das Aushebeln des Rechtsstaa­ts ist weit mehr als die ebenso wenig akzeptable Weigerung, Beschlüsse wie die Aufnahme von Flüchtling­en umzusetzen. Hier geht es um einen zentralen Grundwert der Staatengem­einschaft.

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