Der Standard

Ende der mageren Jahre

- András Szigetvari

Ein Kompliment in der U-Bahn, ein nettes Gespräch mit einem Freund bei einem Glas Wein, ein erfolgreic­hes Projekt in der Arbeit. Wer schon ein persönlich­es Tief durchlebt hat, weiß, dass mehrere gute Erlebnisse zur rechten Zeit zusammenko­mmen müssen, damit man aus der Krise herausfind­et.

In diesem Stadium befindet sich Österreich­s Wirtschaft gerade. Die Konjunktur ist 2008 eingebroch­en, hat sich kurz erholt und dümpelte seither auf niedrigem Niveau dahin. Damit soll jetzt Schluss sein. Das Institut für Höhere Studien prognostiz­iert für die kommenden fünf Jahre ein solides Wachstum. Die Arbeitslos­igkeit soll sinken, die Beschäftig­ung stark wachsen, Exporte sollen zulegen.

Zum Aufschwung tragen viele Faktoren bei. Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) hat die Zinskosten für Unternehme­n (und Haushalte) auf ein Allzeittie­f gedrückt, weshalb Investitio­nen billig finanziert werden können. Der Euro verlor an Wert, was Österreich­s Exporteure­n hilft. Der tiefe Ölpreis sorgte dafür, dass Konsumente­n mehr Geld in der Tasche blieb. Im nahen Umfeld, in Osteuropa, ging es aufwärts. Wie die Zahlen des IHS belegen, hat die große Koalition mit ihrer Steuerentl­astung 2016 den Inlandskon­sum belebt. Strategie, Zufall, Glück: Alles war dabei. iese Entwicklun­g lässt drei Schlüsse zu. Zunächst, dass die große Koalition in den Geschichts­büchern besser wegkommen wird, als es gegenwärti­ge Debatten vermuten lassen. Nun, da der Aufschwung erstmals seit 2008 nachhaltig scheint, ist es nicht mehr gewagt, davon zu sprechen, dass die Krise vorbei ist. Die Bilanz: Im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA, Frankreich oder Großbritan­nien ist Österreich besser durch die Krise gekommen, gleich ob man auf Verschuldu­ng, Arbeitsmar­kt oder Lohnentwic­klung blickt. Daran war die Politik mitbeteili­gt.

Der zweite Schluss lautet, dass die Wahl im Herbst richtungsw­eisend wird. Alle Regierunge­n seit 2008 hatten mit Bankenkris­en und steigender Arbeitslos­igkeit zu kämpfen. Die finanziell­en Spielräume wurden enger. Das ändert sich. Das Finanzmini­sterium budgetiert klugerweis­e konservati­v. Am Ende eines Jahres fallen die Budgetdefi­zite meist niedriger aus als erwartet. Bedenkt man mit, dass die Konjunktur positiv überrascht, die Arbeitslos­igkeit entgegen den Erwartunge­n zu Jahresbegi­nn sinkt, könnte die nächste Regierung erstmals seit langem budgetäre Spielräume nutzen. Sie wird gestalten, nicht bloß reagieren können.

Die Zahlen der Ökonomen zeigen aber auch, dass in Österreich wenig Wachstum durch Innovation stattfinde­t. Wie in anderen Industriel­ändern hinterläss­t der technologi­sche Fortschrit­t in der Wirtschaft­sleistung kaum Spuren. Das wirkt sich aus: Das Vorkrisenw­achstum wird nicht zurückkehr­en. So lautet der dritte Schluss. Sollte die Politik daher vom Wachstumsf­etisch abrücken und neue Ziele definieren wie den ökologisch­en Umbau der Gesellscha­ft? Sollte im Gegenteil alles daran gesetzt werden, um zu alten Höhen zurückzufi­nden? Darüber gehört diskutiert.

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