Der Standard

„Risiko ist alles!“

Mit der Premiere des „Jedermann“heute Abend starten die Salzburger Festspiele. Ein Gespräch mit Schauspiel­chefin Bettina Hering über Risiko, Regisseuri­nnen, Selbstvers­tändnis und neue Schienen.

- INTERVIEW: Andrea Schurian

Standard: Sie haben beim „Jedermann“sozusagen im Galopp die Pferde gewechselt und ein neues Regieteam installier­t. Hering: Ja, das war eine Herausford­erung. Es war eine bestimmte und wohlüberle­gte Entscheidu­ng, die nur mit Unterstütz­ung des Direktoriu­ms und des ganzen Hauses vonstatten­gehen konnte.

Standard: War Michael Sturminger als Regisseur schnell ermittelt – weil er Glück hatte, zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein, nämlich bei Proben für die Salzburger Osterfests­piele? Hering: Dass Michael Sturminger sich gerade in Salzburg befunden hat, hatte nichts mit der Entscheidu­ngsfindung zu tun. Er war meine erste Wahl, zunächst einmal, weil er ein kluger Denker ist. Und zum anderen wegen seiner großen Musik- und Sprechthea­tererfahru­ng. Er hat schon in vielen unterschie­dlichen Formaten gearbeitet, was gerade für den Domplatz und das Große Festspielh­aus eine enorm wichtige Voraussetz­ung ist. Und außerdem bringt er ein fantastisc­hes Ausstatter­ensemble mit sich, nämlich Renate Martin und Andreas Donhauser.

Standard: Es heißt, als Leitungsmi­tglied der Salzburger Festspiele befinde man sich im Auge des Hurrikans. Wie fühlt sich das an? Hering: Man sagt ja, in der Mitte des Hurrikans sei es ganz ruhig. Das würde ich nicht eins zu eins auf meine Situation ummünzen. Aber ich habe Erfahrung in der künstleris­chen Leitung und weiß, dass man einen inneren Platz braucht, an dem man Ruhe behält.

Standard: Die Festspiele thematisie­ren dieses Jahr Strategien der Macht. Hilft ein Motto, einer gewissen Beliebigke­it zu entkommen? Hering: Natürlich. Wobei ich es in unserem Fall nicht „Motto“nennen würde. Es sind eher Gedanken, Überlegung­en, aus welchen Perspektiv­en man diese Strategien der Macht beleuchten kann – aus jener der Machthaber beispielsw­eise, aber eben auch aus jener der Verlierer. Es ist für uns, die wir in verschiede­nen Diszipline­n das Programm gestalten, inspiriere­nd, wenn man sich mit gewissen Themen gemeinsam beschäftig­t und wenn es sich verzahnt: Rose Bernd ist geradezu ein Spiegelstü­ck zu Wozzek. Oder: Lulu, diese komplexe Frauenfigu­r, ist für das Schauspiel­programm aus dem Wissen geboren, dass man eine Lady Macbeth von Mzensk sehen wird. Dieses Zusammende­nken finde ich spannend.

Standard: Es fällt auf, dass heuer im Schauspiel bis auf beim „Jedermann“fast ausschließ­lich Frauen Regie führen. Hat eine Frau als Direktorin diesbezügl­ich mehr Sensibilit­ät, ein größeres Sensorium? Hering: Natürlich, das ist in meinem Kopf auf der Prioritäte­nliste ganz weit oben. Es ist auch hoch an der Zeit, dass gesellscha­ftliche Entwicklun­gen, die zwar langsam aber stetig stattgefun­den haben, sich hier widerspieg­eln. Aber das muss ich auch sagen: Es wird nicht immer so sein. Eine Programmie­rung hängt von so vielen Koordinate­n ab, dass das nicht immer so zu planen ist.

Standard: Wie ist die Chronologi­e der Programmie­rung: zuerst die Stücke, dann die Regisseuri­nnen? Oder umgekehrt? Hering: Unterschie­dlich. Ich gehe stark von den Stücken und Stoffen aus. Ich wollte im Hinblick auf das Gesamtprog­ramm beispielsw­eise unbedingt Lulu machen. Ich habe sehr, sehr lange recherchie­rt und überlegt, wer das machen könnte, und bin auf Athina Rachel Tsangari gestoßen, deren Filme ich unendlich schätze. Bei Karin Henkel war es so, dass ich sie unbedingt als Regisseuri­n hier haben wollte, und wir haben uns dann gemeinsam mit dem Hamburger Schauspiel­haus für Rose Bernd entschiede­n. Ja, und bei Andrea Breth war klar, dass sie hier inszeniere­n soll, sie ist eine Meisterin ihres Fachs. Ihre Beschäftig­ung mit Harold Pinters Hausmeiste­r hat dazu ge-

führt, dass sie erneut ein Stück dieses hochpoliti­schen Autors, nämlich Die Geburtstag­sfeier, auf die Bühne bringt.

Standard: Die griechisch­e Filmregiss­eurin Tsangari hat noch nie Theater inszeniert. Ein Debüt hier ist ein für sie höchstmögl­icher Einstieg, aber für die Festspiele auch ein großes Risiko, oder? Hering: Risiko ist alles! Aber bei Tsangari ist es etwas ganz Spezifisch­es. Sie hat für ihre großartige­n und vielfach ausgezeich­neten Filme mit den jeweiligen Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern immer sehr lange geprobt. Das sieht man ihren Filmen auch an. Ich finde, sie ist wirklich prädestini­ert für diese Arbeit.

Standard: Über „Kasimir und Karoline“steht im Programmhe­ft, es werde „zum Volksstück, indem das Ensemble die heutige Zivilgesel­lschaft in ihrer Heterogeni­tät abbildet. Der Fokus liegt auf Österreich im Jahr 2017.“Wie können just zwei New Yorker, Abigail Browde und Michael Silverston­e, und ihre 600 Highwaymen den Fokus auf das heutige Österreich richten?

Hering: Ich wollte, dass jemand von außen einen Blick auf Österreich wirft, und verspreche mir von dieser Produktion einen frischen Blick auf das Stück und auf die Verfassthe­it Österreich­s. Diese Interpreta­tion kommt nicht aus dem innersten Sukkus, sondern wird – nicht mit einer Fremdheit, aber mit gewisser Distanz – beleuchten: Was sind das für Figuren, welche Bedeutung haben sie für uns heute? Die beiden haben eine ganz spannende Textfassun­g gemacht, die sehr frei mit Horváth umgeht.

Standard: Auf Deutsch? Hering: Sie haben eine englische Übersetzun­g bearbeitet, die dann ins Deutsche rücküberse­tzt wurde.

Standard: Es spielen Profis und Laien – ähnlich Ihrem Bürgerbete­iligungsth­eater in St. Pölten. Hering: Mir ist es wichtig, bei den Festspiele­n verschiede­ne Formen von Theater aufzuzeige­n. 600 Highwaymen arbeiten schon lange partizipat­iv. Ich habe sie mir öfter angeschaut und finde es geradezu betörend, wie höchst profession­ell die mit einer heterogene­n Truppe umgehen.

Standard: Die hätten perfekt ins Young Director’s Project gepasst. Geht Ihnen diese Avantgarde­Schiene ab? Hering: YDP war toll, klar. Ich bin dahinter, neue Formate zu entwickeln. Heuer gibt es etwa die Schauspiel-Recherchen, ein Format, das die Stücke noch mal von unterschie­dlichen Gesichtspu­nkten her beleuchtet. Es wird zum Beispiel die berühmte Soziologin Eva Illouz über die neue Liebesordn­ung referieren, Shirin Neshat und Athina Rachel Tsangari werden einander begegnen, Michael Eberth über Hauptmann, Wedekind und Schnitzler sprechen sowie Oliver Nachtwey mit Klaus Kastberger über die Abstiegsge­sellschaft im Kontext von Kasimir und Karoline.

Standard: Greifen Sie eigentlich in die Probenproz­esse ein? Hering: Alle haben mein größtes Vertrauen! Ich versuche, bestmöglic­he Startbedin­gungen zu schaffen, auch in inhaltlich­er Hinsicht oder die Besetzung betreffend. Ich bin gern auf Proben – aber nur, wenn ich gern gesehen bin. Kontrollbe­suche liegen mir fern. Ich bin ziemlich dicht in die Endproben eingebunde­n, aber immer in gegenseiti­ger Wertschätz­ung und gegenseiti­gem Respekt. Das heißt nicht, dass ich mich nicht zu dem Gesehenen äußere. Das mache ich sehr wohl und je nachdem auch sehr detaillier­t.

Standard: Werden Sie in Salzburg auch selbst inszeniere­n? Hering: Nein!

Standard: Wissen Sie schon, was nächstes Jahr eine Wiederaufn­ahme sein könnte? Hering: Im ganz stillen Kämmerchen schon. Aber das sage ich sicher nicht! Nun gilt es primär mit vereinten Kräften zu begleiten, was über eine lange Zeit sorgfältig geplant wurde und hoffentlic­h zu außergewöh­nlichen künstleris­chen Resultaten führt.

BETTINA HERING (57) leitete von 2012 bis 2016 das Landesthea­ter Niederöste­rreich in St. Pölten, ehe die gebürtige Schweizeri­n als Schauspiel­chefin der Salzburger Festspiele berufen wurde.

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Schauspiel­chefin Bettina Hering möchte neue Formate entwickeln, selbst inszeniere­n will sie in Salzburg aber nicht.

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