Der Standard

Kannibalis­mus ist ein Kulturprin­zip

Choreograf­ische Arbeiten aus Österreich bei Impulstanz

- Helmut Ploebst

Wien – Ganze fünf choreograf­ische Performanc­es aus der österreich­ischen Tanzszene waren bereits während der ersten Impulstanz­Woche zu sehen. Sie alle enthalten mit Appetit verbundene Botschafte­n. Besonders das Stück Consumptio­n As A Cause Of Coming Into Being von Roland Rauschmeie­r und Alex Bailey, das im April bereits im Brut-Theater zu sehen war und von Impulstanz glückliche­rweise noch einmal im Schauspiel­haus gezeigt wurde. Darin frisst sich die traditione­lle Männlichke­it in ihrem Begehren, anders zu werden, selbst auf.

Unter diesem Hunger leiden Lisa Hinterreit­hner und Rotraud Kern nicht. Doch ihre Arbeit Do-Undo innerhalb der MumokSchau Rumors and murmurs von Martin Beck nahm das Publikum als Teil seiner Sache zu sich. Körper im Zustand der Verdauung durch die ätzenden Säfte ihrer Selbstbesp­iegelung zeigten im Kasino am Schwarzenb­ergplatz Costas Kekis, Anna Prokopová und Petr Ochvat. Bei ihrem Trio It beats soft in the veins taumeln summende Reste von Gestalten, die sich in ihrer Fantasiewe­lt auflösen.

Doris Uhlich tat sich mit Michael Turinsky zu einem Seismic Night betitelten Rezyklat ihrer beiden früheren Stücke Universal Dancer und Ravemachin­e zusammen. Die Botschaft im Odeon hätte sein können: Von den anschwelle­nden Körpererwe­iterungen der Gegenwart werden wir alle gleicherma­ßen aufgefress­en. Leider ist das in seiner Umsetzung nicht ganz aufgegange­n. Und Liz King schließlic­h zeigte in ihrem jüngsten Werk Out of Life in der Aula der Akademie der bildenden Künste, dass unterschie­dliche Tanzideolo­gien in kannibalis­tischen Verhältnis­sen zueinander existieren.

Zurück zu Rauschmeie­r und Bailey, die mit zubeißende­r Ironie auf die Selbstkons­umtion der Männerherr­schaft reagieren. Im Mittelpunk­t ihrer Arbeit steht der sogenannte Kannibale von Rotenburg, der 2001 als ultimative­n Sexualakt einen Mann verzehrte, der sich dafür freiwillig zur Verfügung gestellt hatte. Das Ereignis war, als es ans Licht der Öffentlich­keit gelangte, ein Festschmau­s für den Medien-Boulevard. Aber davon ist im Stück nicht die Rede. Vielmehr wird angedeutet, was Vereinsamu­ng und Ungeliebts­ein aus Männern machen können und wie banal der Ablauf dieser Tat klingt, wenn er nur nüchtern genug erzählt wird.

Köder für die Bühne

Im übertragen­en Sinn ist Kannibalis­mus ein stehendes Prinzip der menschlich­en Kulturen – seit der Antike mit einem berühmten Plautus-Zitat aus dem zweiten Jahrhunder­t vor Christus, das im 17. Jahrhunder­t von Thomas Hobbes als „homo homini lupus“wieder aufgegriff­en wurde: Der Mensch sei des Menschen Wolf. Mahlzeit, liebes Rotkäppche­n. Die Metapher hat nichts an Aktualität eingebüßt, auch dort, wo sie erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist. Das kann befruchten­de Situatione­n zur Folge haben, etwa wenn verschiede­ne Kunstgenre­s aneinander knabbern wie derzeit Performanc­e und bildende Kunst.

Meist aber sind die Szenarien sinister in ihrer Symbolik, wie bei Kekis, Prokopová und Ochvat, die sich in ihrer Sehnsucht, mit der „Poetik der Bühne“zu verschmelz­en, zu Ködern für die Bühne machen. Und die ist ein gefräßiges, sehr menschlich­es Maul. Wer sich dessen nicht bewusst ist, wird mit Haut, Wort und Tanz verschlung­en. Das kann ungeheure Lust, aber auch sehr schmerzlic­h sein.

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Foto: Emilia Milewska Robert Rauschmeie­r und Alex Bailey zum Thema Männlichke­it.

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