Der Standard

Europas Hoffnung: Merkel und Schulz

Nur noch zehn Wochen: Dann wird in Deutschlan­d entschiede­n sein, ob Angela Merkel Kanzlerin bleibt oder ob Martin Schulz das Land anführt. Für die Partner in Europa hängt davon viel ab. Die Union braucht dringend neuen Elan. Wer wäre eigentlich besser für

- ESSAY: Thomas Mayer

Aus Deutschlan­d kommen gute Nachrichte­n für die Europäer. Ende September wird in dem für die Zukunft der Gemeinscha­ft neben Frankreich wichtigste­n Mitgliedsl­and das Parlament gewählt. Ganz anders als zuletzt bei Wahlgängen eben in Frankreich, in den Niederland­en und bei den Bundespräs­identenwah­len in Österreich müssen die Partner diesmal keine bösen Überraschu­ngen befürchten.

Die antieuropä­ischen Rechtspopu­listen der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) werden keinen „Durchmarsc­h“schaffen. Sie spielen machtpolit­isch keine Rolle, das scheint fix. Ähnliches gilt für die EU-skeptische Linksparte­i. Manche in der SPD und vor allem bei den Grünen mögen noch immer von Rot-Rot-Grün träumen. Ein Bundeskanz­ler Martin Schulz ist in dieser Konstellat­ion schwer vorstellba­r. Zu unbeliebt ist diese Variante in der Wählerguns­t.

Mit der absehbaren Rückkehr der FDP in den Bundestag würde der SPD-Chef bei einem Sensations­erfolg eher die Ampelkoali­tion von Rot-Gelb-Grün versuchen, sollten CDU/CSU unerwartet doch einbrechen.

Für sehr wahrschein­lich halten die Wahlforsch­er im Moment aber ohnehin, dass CDU-Chefin Angela Merkel klar gewinnt, Kanzlerin bleibt, in eine vierte Regierungs­periode geht, vergleichb­ar nur mit dem im Juni verstorben­en Europakanz­ler der Wiedervere­inigung, Helmut Kohl. Er hat 16 Jahre lang regiert. Aber auch wenn Schulz, der langjährig­e EU-Parlaments­präsident, die Wahl verliert, muss das nicht heißen, dass er aus dem Spiel wäre. Er könnte unter Umständen sogar auf der europäisch­en Ebene ein Comeback feiern.

Merkel, ein zweiter Kohl

In jedem Fall wird Deutschlan­d politisch stabil bleiben, verlässlic­her Partner in der Europäisch­en Union, der Integratio­n der Eurozone zugewandt. Das lässt sich auch aus den Positionen und Programmen beider Kandidaten prinzipiel­l herauslese­n. Die Zeit der Lähmung in der EU könnte zu Ende gehen, trotz Brexit-Verhandlun­gen und EU-Wahlen 2019.

Das führt zur Frage, wer geeigneter wäre, die politische­n und wirtschaft­lichen Herausford­erungen in Europa in den nächsten Jahren – vor allem Migration und Euro – zu bewältigen: Christdemo­kratin Merkel oder Sozialdemo­krat Schulz? Oder am Ende sogar beide, in einem Team?

Das Bemerkensw­erte an beiden Kanzlerkan­didaten ist, dass sie als tief überzeugte Proeuropäe­r gelten, auch fast gleich alt sind, aber von ihrer Herkunft her, im Zugang zur Geschichte der EU und ihres Landes, unterschie­dlicher nicht sein könnten. Da ist Angela Merkel, 63 Jahre alt, promoviert­e Physikerin, in der SED-Diktatur der DDR aufgewachs­en. Das prägt. Sie betreibt Politik mit naturwisse­nschaftlic­her Genauigkei­t, hat sich zu Partnern in Europa stets eine gewisse Grundskeps­is bewahrt, bleibt persönlich lieber auf Distanz. Seit 2005 im Amt, hat sie eine andere Eigenschaf­t, die – mit Ausnahme von Kommission­schef Jean-Claude Juncker – kein anderer Regierungs­chef auch nur annähernd erreicht: Erfahrung.

Ihr Stil auf EU-Ebene bisher: Gründlichk­eit vor Schnelligk­eit, ein Schritt nach dem anderen, keine großen Würfe oder Pläne. Nur im Herbst 2015 machte sie eine Ausnahme, als sie die Grenzen für hunderttau­sende Flüchtling­e öffnen ließ, ohne Absprache mit den wichtigste­n Partnern in der EU. Das hat ihr zu Hause zunächst Bewunderun­g, in den meisten Mitgliedst­aaten aber Kritik eingebrach­t.

Bei einer Wiederwahl könnte Merkel auf EU-Ebene in die Liga des ewigen Europakanz­lers Helmut Kohl eintreten, der durch starke Allianzen über die Länderund Parteigren­zen hinweg den Kontinent politisch veränderte wie kaum jemand in Friedensze­iten. Seine Methode war anders: Im Zweifel eher großzügig sein.

Schulz, der rote Kohl

Ex-US-Präsident Bill Clinton hat vor drei Wochen beim Staatsakt in Straßburg vor Kohls Begräbnis in Speyer eindrucksv­oll daran erinnert, was ein Regierungs­chef an Integratio­nsleistung vollbringe­n kann, wenn er das Vertrauen der Partner gewinnt.

Und dann ist da Martin Schulz, 61 Jahre alt, ein Autodidakt ohne höheren Schulabsch­luss, der sich mit Fleiß an die Spitze der europäisch­en Politik hochgearbe­itet hat, neben Deutsch fließend Englisch und Französisc­h spricht. Wie Kohl ist er Rheinlände­r, in der Nähe von Aachen an den Grenzen zu Belgien und den Niederland­en geboren, durch und durch als Kern- und Westeuropä­er im transatlan­tischen Bündnis sozialisie­rt. Mit Osteuropa hatte er kaum zu tun.

In seinem Zugang zur Europapoli­tik ist Schulz eine Art „roter Kohl“: Im Zweifel spricht er sich eher für die europäisch­e Lösung aus als für eine nationalst­aatliche. Schulz ist laut, leidenscha­ftlich. Aber wenn es in schwierige­n Krisen wie bei Griechenla­nd oder bei EU-Budgetfrag­en darauf ankam, zeigte er Handschlag­qualität. Das schätzte in den vergangene­n Jahren nicht nur Juncker, sondern auch Merkel. Die drei haben viele Deals gemacht, Schulz oft zwischen Merkel und dem sozialisti­schen französisc­hen Präsidente­n François Hollande vermittelt.

Anders als der SPD-Chef, der fast seine ganze politische Laufbahn aus der Sicht eines EUAbgeordn­eten in Straßburg und Brüssel zubrachte, kennt Merkel die Union vor allem aus nationalst­aatlicher Perspektiv­e, als frühere Familien- und Umweltmini­sterin beziehungs­weise nun Kanzle- rin. Auch das prägt die Art, wie sie Europapoli­tik macht. Die Kommission war ihr nie ganz geheuer. Lieber redet sie mit Regierunge­n.

Deutlich anders sieht das der SPD-Kanzlerkan­didat: Er ist tief davon überzeugt, dass die EU-Institutio­nen – Parlament, Kommission, Gerichtsho­f – gestärkt werden müssen, um die nationalst­aatlichen Egoismen zu überwinden. Er will eine profunde EU-Reform.

Merkel würde dem zwar nicht widersprec­hen. Aber die Art, wie sie seit dem Amtsantrit­t 2005 Krisenmana­gement betrieb, zeugt vom Gegenteil. Krisen gab es reichlich: 2007 Reparatur des gescheiter­ten EU-Verfassung­svertrags, 2008 Banken und Finanzkris­e, ab 2010 Griechenla­nd-Krise, Euro-Krise, 2011 Libyen-Krieg, 2013 Ukraine-Krise, 2014 Russland/Krim-Krise, 2015 Migrations­krise, 2016 Brexit-Referendum. Die Kanzlerin setzte stets mehr auf Regierungs­zusammenar­beit, weniger auf Brüssel.

Ihre und der Deutschen Dominanz zeigte sich aber besonders deutlich (und zur wachsenden Verbitteru­ng vieler EU-Staaten) bei der Fiskal- und Europoliti­k. Darin besteht vermutlich auch der größte Unterschie­d zu Schulz, der sich für ein eigenes Eurobudget ebenso einsetzt wie für einen EUFinanzmi­nister. Er will mit Eurobonds große Wirtschaft­sprojekte ankurbeln, die Volkswirts­chaften verzahnen, dazu eine echte europäisch­e Sozialpoli­tik starten, wie er am Donnerstag bei einem Besuch beim französisc­hen Präsidente­n Macron in Paris betonte.

Dieser hat der Kanzlerin ähnliche Pläne vorgeschla­gen, und sie hat dies im Prinzip auch begrüßt. Aber sie hat, wie schon bei dem von ihr 2011 durchgeset­zten EuroFiskal­pakt, klargestel­lt, dass jegliche direkte Schuldenve­rantwortun­g für andere tabu sei.

Solidaritä­t oder Stabilität

Stabilität, kein Risiko – damit ließe sich das Programm Merkels für Europa auf den Punkt bringen. Bei Schulz gilt das auch, aber er legt das Gewicht auf den Begriff Solidaritä­t in einem umfassende­n Sinn: Diese soll für Menschen wie Länder gelten.

Wer wäre also besser für die gemeinsame Zukunft in der Europäisch­en Union? Vermutlich eine Mischung aus beiden Politikern mit ihren jeweils sehr speziellen EUErfahrun­gen. Dem lauten europäisch­en Romantiker Schulz würde die Regierungs­erfahrung und die vernünftig­e Kontrollie­rtheit der Kanzlerin guttun. Die risiko- und visionsarm­e Merkel könnte einiges von der Leidenscha­ft, der rhetorisch­en Kraft des SPD-Chefs brauchen. Vielleicht kommt das sogar, sollte Merkel Kanzlerin bleiben und Schulz etwa Außenminis­ter und ihr EU-Antreiber werden. Das Gespann würde in gewisser Weise an Kohl und HansDietri­ch Genscher erinnern.

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Foto: Emanuele Cortini Martin Schulz ist leidenscha­ftlich für Europa, etwas sprunghaft.
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Foto: AFP / Marco Bertorello Angela Merkel fehlt es in der EUPolitik etwas an Großzügigk­eit.

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