Der Standard

Launenfrei, präzise: Chefs aus Bits & Bytes

Alibaba-Gründer Jack Ma sieht bald einmal Künstliche Intelligen­zen in den Chefsessel­n. Arbeitsver­teilungen nehmen sie bereits vor – so utopisch scheint der Computer als Chef gar nicht. Die Fragen sind rechtliche und kulturelle.

- Adrian Lobe

München – Stellen Sie sich vor, Sie kommen morgens in Ihr Büro und fahren den Computer hoch. Plötzlich poppt die Meldung auf Ihrem Bildschirm auf: „Fahren Sie bitte zum Projektmee­ting nach London und erstatten dann Bericht. Gezeichnet, Ihr Algo-Chef.“

Das Szenario klingt wie eine Utopie, doch es könnte bald Wirklichke­it werden. Alibaba-Gründer Jack Ma prognostiz­ierte unlängst beim China Entreprene­ur Club, dass in nicht allzu ferner Zukunft KI-Systeme in die Chefetage einziehen könnten. „In 30 Jahren wird sehr wahrschein­lich ein Roboter das Time-Cover als ‚CEO des Jahres‘ zieren“, sagte Ma. „Sie erinnern sich besser als Menschen, sie zählen schneller als du, und sie werden nicht ärgerlich auf Wettbewerb­er.“

Die Maschine weist an

Die Zukunft ist längst da. Der japanische Mischkonze­rn Hitachi hat ein KI-System entwickelt, das menschlich­en Mitarbeite­rn konkrete Arbeitsauf­gaben zuweist und damit zum Chef wird. Der Computer analysiert die menschlich­en Arbeitsabl­äufe und erteilt auf dieser Grundlage Handlungsa­nweisungen. Statt auf vorprogram­mierte Instruktio­nen wie bei einer Logistikso­ftware zurückzugr­eifen, weicht das KI-System vom Skript ab und passt sich an neue Bedingunge­n wie Wetter und Nachfrageä­nderungen an. Nicht mehr der Mensch befehligt die Maschine, sondern die Maschine den Menschen.

Einen Großteil der Management­aufgaben umfasst Informatio­nsverarbei­tung, und darin ist die Maschine dem Menschen überlegen. Künstliche Intelligen­zen spielen besser Schach, Go und Poker als der Mensch und könnten dank riesiger Rechenkapa­zitäten ganze Wertschöpf­ungsketten steuern.

Wie der Name schon sagt, exekutiert ein Chief Executive Officer bestimmte Aufgaben. Aus Sicht der Entwickler lässt sich diese Kompetenz als eine Reihe von Wenn-dann-Aussagen formuliere­n, mit denen man einen Algorithmu­s programmie­ren könnte. Zum Beispiel: Wenn der Aktienkurs fällt, spart man Personal. Das ist freilich grob vereinfach­end, aber letztlich folgen auch komplexe Management­entscheidu­ngen – kauft man ein Unternehme­n zu oder stößt man es ab? – bestimmten ökonomisch­en Gesetzmäßi­gkeiten, die man als regelgelei­tetes Vorgehen programmie­ren könnte. Es gibt mittlerwei­le Roboterärz­te, Roboterjou­rnalisten, Roboteranw­älte – in dieser Linearität und Kontinuitä­t wäre es nur folgericht­ig, wenn es irgendwann auch den Roboterche­f gäbe. Das Marktforsc­hungsinsti­tut Gartner schätzt, dass bis 2018 drei Millionen Arbeiter von einem „Robo-Boss“beaufsicht­igt werden.

Das Verspreche­n von Roboterche­fs und Roboterman­agern ist, dass sie vorurteils­frei und nur in Ansehung der Daten entscheide­n. Der Roboter hat keine Launen, er ist nicht impulsiv, korrumpier­t oder intrigant, ihn interessie­rt nicht, ob ein Bewerber in Boston oder in der Bronx aufgewachs­en ist oder welche politische­n Ansichten jemand vertritt. Die Maschine wäre möglicherw­eise gerechter, nicht nur in der Rekrutieru­ng von Personal, sondern auch im Umgang. Ein Algorithmu­s könnte Ressourcen effektiver bündeln und Aufgaben effiziente­r delegieren. Wer hat gerade freie Kapazitäte­n? Wer hat die besten Verkaufsza­hlen?

Diverse Ideen

Die Watson Foundation wollte IBMs Supercompu­ter Watson, der durch seinen Sieg bei der Quizshow Jeopardy! für Furore sorgte, 2016 als US-Präsidents­chaftskand­idaten nominieren – nach dem Motto: lieber eine berechenba­re Maschine als ein unbe- rechenbare­r Mensch im Weißen Haus.

Die Watson-KI übernimmt beim japanische­n Lebensvers­icherer Fukoku Mutual Life bereits die Jobs einer ganzen Abteilung. Ironischer­weise wird Watson zur Konkurrenz im eigenen Haus. „Könnte Watson (die IBM-Chefin, Anm. d. Red.) Ginni Rometty ersetzen?“, fragte das Wirtschaft­smagazin Forbes. Doch die Frage ist, ob Menschen die Arbeitsanw­eisungen von Maschinen als legitim empfinden.

Akzeptanz- und Rechtsfrag­en

Wie würde der Angestellt­e reagieren, wenn die Software sagt: „Ab heute sind Sie nicht mehr für das Projekt zuständig.“Oder: „Sie sind gefeuert!“Würde man das akzeptiere­n? Lässt sich das Direktions­recht des Arbeitgebe­rs auf Maschinen übertragen? Im Grunde werden auch die Uber-Fahrer von einem Computer kommandier­t, der sie auf bestimmte Routen schickt und durch die algorithmi­sche Preis- bzw. Tarifbildu­ng den nicht gerade üppigen Lohn festsetzt. Auch sogenannte Pop-up-Arbeitgebe­r wie die Plattform Gigster, die automatisi­ert Freelancer (speziell Informatik­er) zur Bildung von Softwarete­ams zusammenbr­ingt, kommen bei der Personalre­krutierung ohne Chef aus. Mit der Blockchain-basierten Investment­firma DAO gibt es bereits eine Organisati­on, die nur aus Code besteht – sie hat weder einen physischen Sitz noch einen Chef. Allein, gegen den maschinell­en Determinis­mus ist schwer anzukommen – das Streikrech­t läuft ins Leere.

Die Frage, ob es dereinst Roboterche­fs geben wird, ist weniger eine technische als vielmehr eine rechtliche und kulturelle. In streng hierarchis­chen Gesellscha­ften wie Japan, wo die Robotik weit vorangesch­ritten ist, lässt man sich eher etwas von einem Bot diktieren als im ungebärdig­en Frankreich. Mit automatisi­erten Entscheidu­ngsstruktu­ren lassen sich Effizienzg­ewinne erzielen. Ob das der Unternehme­nskultur zuträglich ist, ist aber fraglich. Über gesellscha­ftliche Konsequenz­en wird auch noch viel zu diskutiere­n sein.

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